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Der weibliche Weg Gottes

Der weibliche Weg Gottes

Titel: Der weibliche Weg Gottes
Autoren: Karin Gerland
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Vom Ende zum Anfang

    Hinter mir liegt ein langer Abschied, ein langes Sterben-Lassen, beruflich wie privat, die Trennung von so vielem, was mir etwas bedeutet hatte, das ich geliebt hatte, nicht loslassen wollte und doch musste, wenn ich nicht starr, hart und verbittert bleiben wollte in meinem Schmerz. Das bisherige Leben hatte sich als Trugbild, als Illusion des Verstandes und des Herzens erwiesen. Jede Perspektive war zerplatzt, jeder Traum lag in unzähligen Stückchen am Boden, und der Klebstoff des Lebens mit Namen Hoffnung war nicht mehr verfügbar. Im Selbstbild fehlten die hellen Steine: die Kraft zu lieben, sich einzulassen, kreativ und mutig zu sein. Alles war im Tränenstrom untergegangen.
    Ich war ganz unten, hatte um die falschen Dinge gekämpft, die man als Geschenk bekommt, nicht erwerben kann: Achtung, Wertschätzung, Liebe und hatte den Kampf verloren. Es gab keine Existenz mehr, keinen Beruf, kein Einkommen, kein Zuhause, kein soziales Umfeld. Alles war miteinander verwoben gewesen, alles war beendet. Was die Zukunft betraf, so war ich leer — es gab nichts, wohin ich auch schaute, wonach ich auch suchte. Alle Techniken und Methoden halfen nicht, es gab keine Visionen, die Bestand hatten. Die Bilder, wie die Zukunft hätte sein können, zogen vorbei, ließen sich nicht halten, gaben keine Kraft. Die Chancen lösten sich so schnell auf, wie sie gekommen waren.
    So hatte die Vergangenheit umso mehr Platz im Inneren. Dieses Gemisch aus Schmerz, Zorn, Trauer, Verzweiflung, Wut — immer wieder, immer wieder. Wie ein Rad, das nicht zu stoppen ist. Es nahm mich gefangen, lähmte mich. Mir war, als sei ich lebendig eingemauert, als sei alles, was schön ist, außerhalb. Letztendlich hatte ich mir selbst die Freiheit gegeben — und gleichzeitig panische Angst vor der Unsicherheit, die mit Freiheit einhergeht. Und weil ich so gar nicht wusste, wie mein Leben weiter verlaufen sollte, schenkte ich mir eine Auszeit — ein ganzes Jahr, verkaufte meine Wohnung, um davon zu leben, lagerte Kartons und Möbel ein. In diesem „Sabbatical“ wollte ich reisen, die Psyche gesund werden lassen und gleichzeitig für die Zukunft planen. Für das Jahr gab es viele Ideen: mit dem Motorrad durch Thailand, zur Weinernte nach Südafrika, waren nur zwei davon. Was die weitere Zukunft betraf, so war es, als würde ich durch eine schwarz angemalte Glasscheibe schauen, dahinter war Leben und Bewegung erahnbar, aber nicht greifbar.
    In dieser Phase fiel mir ein Buch über den Jakobsweg in die Hände, und nach den ersten zwei Seiten war klar: Das mache ich! Begründen konnte ich es nicht. Es war etwas anderes, etwas in mir sagte, es ist gut für dich.
    Die Linien des Jakobsweges durchziehen Europa in Richtung Spanien wie die Fäden eines Spinnennetzes. Sie beginnen an den Grenzen von Europa und Vorderasien und streben nach Santiago de Compostela. Je näher sie ihrem Ziel kommen, desto mehr vereinigen sich die Wege und das Netz wird stärker und belebter. Diejenigen, die ihren Weg erwandern und an der Grenze zu Spanien beginnen — das ist die Mehrzahl — starten in den Pyrenäen. Hunderte von Kilometern liegen dann zwischen ihnen und dem Ende ihrer Sehnsucht. Von den verschneiten Gipfeln der Berge, durch mehrere Weinanbaugebiete, über die heiße und karstige Meseta bis hin zum fruchtbaren, regenverhangenen Galicien. Nicht alle erreichen ihr Ziel, das habe ich später erfahren — und kommen doch an. Den Weg nennen sie Camino und sich selbst Peregrinos. Sie grüßen und verabschieden sich mit „Buen Camino“. Die Jakobsmuschel tragen sie an ihrer Kleidung, am Gepäck oder auf dem Pilgerausweis, den jeder Peregrino bei sich trägt. Das eint sie.
    Santiago de Compostela ist neben Rom und Jerusalem das wichtigste Ziel von Pilgerreisen. Die Statistik zählt nur diejenigen, die in Santiago de Compostela ankommen. Im Jahr 2000 sollen mehr als 55.000 auf dem Weg gewesen sein, 1999 im Jahr des Heiligen Jakobus fast 155.000. Es sind mehr Männer als Frauen unterwegs, und die meisten gehen zu Fuß. Die offizielle Sprache auf dem Weg ist Spanisch. Es ist ein bisschen wie in der Zeit vor Babylon.
    Ich war mir sicher, mich lockte nicht der Pilgerweg. Mich sprach der gut ausgeschilderte Wanderweg an, seine Länge von mehr als 800 Kilometern und die körperliche Herausforderung. Bewegung ist gut, wenn die Psyche heilen soll. Diese erste Etappe meines neuen Lebensweges konnte kein christlicher Pilgerweg sein. Ich hatte schon vor langer
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