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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman
Autoren: C.H.Beck
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1
    Man spürt gleich, wenn so etwas anfängt. Mir war sofort klar, dass da
irgendetwas
nicht stimmte. Was für Umwälzungen dann auf mich zukommen sollten, konnte ich freilich nicht ahnen. Am Anfang fühlte ich nur einen diffusen Schmerz, einen leichten Stich im Kreuz. Das hatte ich noch nie gehabt, es war aber an sich kein Grund zur Beunruhigung. Bestimmt nur eine Verspannung, die mit den in letzter Zeit gestiegenen Sorgen zusammenhing.
    Die Situation spielte sich an einem Sonntagnachmittag ab, an einem der ersten schönen Sonntage des Jahres. Man freut sich, dass die Sonne scheint, auch wenn sie noch schwach und nicht allzu vertrauenserweckend ist. Meine Frau und ich hatten ein befreundetes Pärchen zum Mittagessen eingeladen, das heißt, wir luden eigentlich immer dasselbe Pärchen zum Mittagessen ein. So, wie ich mich an die Liebe zu meiner Frau gewöhnt hatte, so hatte ich mich an die Freundschaft zu diesem Pärchen gewöhnt. Wobei, eine Kleinigkeit hatte sich verändert: Wir waren in einen Pariser Vorort gezogen, in ein Häuschen mit Garten. Wir waren mächtig stolz auf unseren Garten. Meine Frau pflanzte Rosenstöcke in geradezu erotischer Andacht, und ich begriff, dass auf diesen paar Quadratmetern Grünfläche all ihre sinnlichenHoffnungen ruhten. Manchmal, wenn ich mit ihr zwischen den Blumen umherspazierte, überkam uns unsere Vergangenheit. Dann gingen wir hinauf ins Schlafzimmer und waren für zwanzig Minuten noch mal zwanzig. Diese Momente waren unendlich kostbar. Man konnte mit Élise der Trägheit jederzeit ein paar Augenblicke rauben. Sie war so zart und drollig, dass ich mich jeden Tag aufs Neue dazu beglückwünschte, Kinder mit ihr zu haben.
    Als ich den Kaffee und die vier Tassen auf einem Tablett ins Wohnzimmer trug, erkundigte sie sich:
    «Alles in Ordnung mit dir? Du siehst ein bisschen kaputt aus.»
    «Mir tut der Rücken weh, aber geht schon.»
    «Das ist das Alter …», seufzte Édouard in dem ihm eigenen ironischen Ton.
    Ich sagte ein paar beschwichtigende Worte. Ich mochte es nicht, wenn sich alle so für mich interessierten. Oder zumindest mochte ich in dem Augenblick nicht der Gegenstand des Gesprächs sein. Aber nichts zu machen, ich spürte diese leichten Stiche im Rücken. Meine Frau und meine Freunde unterhielten sich, und ich war nicht in der Lage, ihrer Unterhaltung zu folgen. Vollkommen fixiert auf meinen Schmerz, versuchte ich mich zu erinnern, ob ich mich in den vergangenen Tagen besonders angestrengt hatte. Nein, ich verstand einfach nicht, woher diese Schmerzen kamen. Ich hatte nichts Schweres gehoben, keine falsche Bewegung gemacht, mein Körper war auf keine wie auch immer gearteten Abwege geraten. Aber ich hatte von Anfangan das Gefühl, das hier müsse etwas ganz Schreckliches sein. Instinktiv nahm ich die Sache nicht auf die leichte Schulter. War ich darauf programmiert, immer das Schlimmste anzunehmen? Ich hatte schon so oft davon gehört, dass Krankheiten ein Leben zerstören können.
    «Möchtest du noch was von der Erdbeertorte?», fragte Élise und unterbrach meine düsteren Gedanken. Wie ein Kind hielt ich ihr meinen Teller hin. Ich aß und betastete zugleich meinen Rücken. Irgendetwas kam mir nicht ganz normal vor (da war so eine Art Beule), aber ich hätte nicht sagen können, ob die jetzt real war oder die Ausgeburt meiner ängstlichen Fantasie. Édouard sah von seiner Erdbeertorte auf und schaute mich an:
    «Tut’s immer noch weh?»
    «Ja … ich weiß nicht, was das ist», gestand ich leicht panisch.
    «Vielleicht solltest du dich mal ein bisschen hinlegen», meinte Sylvie.
    Sylvie ist Édouards Frau. Ich hatte sie in der zwölften Klasse im Gymnasium kennengelernt. Das heißt, das war nun über zwanzig Jahre her. Sie war damals schon zwei Jahre älter als ich. Der Altersunterschied zwischen zwei Menschen stellt den einzigen Abstand dar, den man nicht verringern kann. Während ich anfangs vollkommen fasziniert von ihr war, sah sie in mir immer bloß einen kleinen Jungen. Samstags nahm sie mich manchmal zu obskuren Ausstellungen in genauso obskuren Galerien mit, wo wir die einzigen Besucher waren.
    Sie erklärte mir, was ihr gefiel und was ihr nicht gefiel, und ich strengte mich an, einen eigenen Geschmack zu entwickeln (umsonst: ich war immer ganz ihrer Meinung). Sie malte eifrig und verkörperte für mich ein Freiheitsideal, das Boheme-Leben. Alles, was ich sofort aufgegeben hatte, als ich mich für ein BWL-Studium einschrieb. Einen Sommer lang hatte ich
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