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Grete Minde

Grete Minde

Titel: Grete Minde
Autoren: Theodor Fontane
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Theodor Fontane
Grete Minde
Nach einer altmärkischen Chronik
     
Erstes Kapitel
Das Hänflingnest
    »Weißt du, Grete, wir haben ein Nest in unserm Garten, und ganz niedrig, und zwei Junge drin.«
    »Das wäre! Wo denn? Ist es ein Fink oder eine Nachtigall?« »Ich sag es nicht. Du mußt es raten.«
    Diese Worte waren an einem überwachsenen Zaun, der zwei Nachbargärten voneinander trennte, gesprochen worden. Die Sprechenden, ein Mädchen und ein Knabe, ließen sich nur halb erkennen, denn so hoch sie standen, so waren die Himbeerbüsche hüben und drüben doch noch höher und wuchsen ihnen bis über die Brust.
    »Bitte, Valtin«, fuhr das Mädchen fort, »sag es mir.«
    »Rate.«
    »Ich kann nicht. Und ich
will
auch nicht.«
    »Du
könntest
schon, wenn du wolltest. Sieh nur«, und dabei wies er mit dem Zeigefinger auf einen kleinen Vogel, der eben über ihre Köpfe hinflog und sich auf eine hohe Hanfstaude niedersetzte.
    »Sieh«, wiederholte Valtin.
    »Ein Hänfling?«
    »Geraten.«
    Der Vogel wiegte sich eine Weile, zwitscherte und flog dann wieder in den Garten zurück, in dem er sein Nest hatte. Die beiden Kinder folgten ihm neugierig mit ihren Augen.
    »Denke dir«, sagte Grete, »ich habe noch kein Vogelnest gesehen: bloß die zwei Schwalbennester auf unsrem Flur. Und ein Schwalbennest ist eigentlich gar kein Nest.«
    »Höre, Grete, ich glaube, da hast du recht.«
    »Ein richtiges Nest, ich meine von einem Vogel, nicht ein Krähen- oder Storchennest, das muß so weich sein wie der Flachs von Reginens Wocken.«
    »Und so ist es auch. Komm nur. Ich zeig es dir.« Und dabei sprang er vom Zaun in den Garten seines elterlichen Hauses zurück.
    »Ich darf nicht«, sagte Grete.
    »Du darfst nicht?«
    »Nein, ich soll nicht. Trud ist dawider.«
    »Ach Trud, Trud. Trud ist deine Schwieger, und eine Schwieger ist nicht mehr als eine Schwester. Wenn ich eine Schwester hätte, die könnte den ganzen Tag verbieten, ich tät es doch. Schwester ist Schwester. Spring. Ich fange dich.«
    »Hole die Leiter.«
    »Nein, spring.«
    Und sie sprang, und er fing sie geschickt in seinen Armen auf.
    Jetzt erst sah man ihre Gestalt. Es war ein halbwachsenes Mädchen, sehr zart gebaut, und ihre feinen Linien, noch mehr das Oval und die Farbe ihres Gesichts, deuteten auf eine Fremde.
    »Wie du springen kannst«, sagte Valtin, der seinerseits einen echt märkischen Breitkopf und vorspringende Backenknochen hatte. »Du fliegst ja nur so. Und nun komm, nun will ich dir das Nest zeigen.«
    Er nahm sie bei der Hand, und zwischen Gartenbeeten hin, auf denen Dill und Pastinak in hohen Dolden standen, führte er sie bis in den Mittelgang, der weiter abwärts vor einer Geißblattlaube endigte.
    »Ist es hier?«
    »Nein, in dem Holunder.«
    Und er bog ein paar Zweige zurück und wies ihr das Nest.
    Grete sah neugierig hinein und wollte sich damit zu schaffen machen, aber jetzt umkreiste sie der Vogel, und Valtin sagte: »Laß; er ängstigt sich. Es ist wegen der Jungen; unsere Mütter sind nicht so bang um uns.«
    »Ich habe keine Mutter«, erwiderte Grete scharf.
    »Ich weiß«, sagte Valtin, »aber ich vergeß es immer wieder. Sieht sie doch aus, als ob sie deine Mutter wäre, versteht sich, deine Stiefmutter. Höre, Grete, sieh dich vor. Hübsch ist sie, aber hübsch und bös. Und du kennst doch das Märchen vom Machandelboom?«

    »Gewiß kenn ich das. Das ist ja mein Lieblingsmärchen. Und Regine muß es mir immer wieder erzählen. Aber nun will ich zurück in unsern Garten.«
    »Nein, du mußt noch bleiben. Ich freue mich immer, wenn ich dich habe. Du bist so hübsch. Und ich bin dir so gut.«
    »Ach, Narretei. Was soll ich noch bei dir?«
    »Ich will dich noch ansehen. Mir ist immer so wohl und so weh, wenn ich dich ansehe. Und weißt du, Grete, wenn du groß bist, da mußt du meine Braut werden.«
    »Deine Braut?«
    »Ja, meine Braut. Und dann heirat ich dich.«
    »Und was machst du dann mit mir?«
    »Dann stell ich dich immer auf diesen Himbeerzaun und sage ›spring‹; und dann springst du, und ich fange dich auf, und...«
    »Und?«
    »Und dann küß ich dich.«
    Sie sah ihn schelmisch an und sagte: »Wenn das wer hörte! Emrentz oder Trud...«
    »Ach Trud und immer Trud. Ich kann sie nicht leiden. Und nun komm und setz dich.«
    Er hatte diese Worte vor dem Laubeneingang gesprochen, an dessen rechter Seite eine Art Gartenbank war, ein kleiner niedriger Sitzplatz, den er sich aus vier Pflöcken und einem darübergelegten Brett
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