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1713 - Carlotta und die Vogelmenschen

1713 - Carlotta und die Vogelmenschen

Titel: 1713 - Carlotta und die Vogelmenschen
Autoren: Jason Dark
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Der Lokführer fing an zu lachen. Nein, das war kein Vogel gewesen. Nicht so groß. Geier oder Adler hatten diese Größe. Dass sie hier herumflogen, hatte er noch nie gehört. In den Bergen gab es solche großen Tiere, die er selbst nur aus Erzählungen kannte, aber keiner verirrte sich in die Ebene, und schon gar nicht mitten in der Nacht.
    Valentin war aufgeschreckt. Er wusste, welche Verantwortung auf seinen Schultern lastete, denn er war der Chef des Zugs, der zwischen Glasgow und Dundee verkehrte.
    Die Strecke war schnurgerade. Keine Kurven vorerst. Durch die Scheinwerfer war sie zu einem hellen und leicht glänzenden Band geworden, das die Landschaft durchschnitt.
    Durmott dachte auch darüber nach, ob er den Vorfall melden sollte. Er entschied sich dagegen, weil er ihn nicht für so gravierend hielt.
    Aber er hoffte, dass er sich nicht mehr wiederholen würde. Er war kein abergläubischer Mensch und sah nicht überall negative Vorzeichen, aber solche Störungen passten ihm nicht.
    Der Zug raste weiter. Das Licht schien die Dunkelheit regelrecht zu fressen, aber sie kehrte immer wieder zurück. Es war zwar keine dieser mondhellen Nächte, dafür war sie kalt, und die Landschaft um den Zug herum auch nicht so finster wie sonst, weil sie zum großen Teil noch immer von einer Schneedecke bedeckt wurde, die manchmal wie weiße, dann wieder wie graue Watte aussah.
    Zwei, drei Minuten verstrichen. Valentin beruhigte sich wieder. Er atmete tief durch und auch der Schweiß drang nicht mehr aus seinen Poren. Allmählich trocknete das Gesicht und er versah weiterhin seinen Job in einer Umgebung, die durch die Instrumentenbeleuchtung beinahe schaurig wirkte.
    Auf den Kopf hatte er seine Mütze mit dem flachen Schirm gesetzt. Wenn er über sein Gesicht strich, spürte er die Bartstoppeln, die seine Frau nicht mochte, und er dachte daran, dass er sich wieder mal rasieren musste.
    Durmott kannte die Strecke im Schlaf. Selbst in der Nacht hätte er sagen können, wo er sich befand. Fünf Jahre lang fuhr er sie schon, und er wusste auch, wann die kleinen Bahnhöfe kamen, die er durchfahren musste. Sie waren für ihn wie Grüße aus einer anderen Welt, die ansonsten hinter der Dunkelheit verschwunden war.
    Sein Sitz war bequem und seinem Körper angepasst. Er hatte sich auch an das Alleinsein während seiner Arbeit gewöhnt. So konnte er trotz der hohen Konzentration seinen Gedanken nachgehen und auch manchmal die Zukunft abarbeiten, wie er immer zu sagen pflegte.
    Der Beruf war ihm nie langweilig geworden. Er übte ihn mit Leidenschaft aus, denn auf der Lok war er der Chef. Ohne ihn lief nichts, und allein die Tatsache, so viele PS zu bändigen, machte ihn auf eine bestimmte Art und Weise stolz.
    Dundee würde er in den frühen Morgenstunden erreichen. Die Hälfte der Strecke lag bereits hinter ihm. In den Wagen schliefen die meisten Passagiere oder dösten vor sich hin.
    Signallichter erschienen hin und wieder wie Spukgestalten. Sie glühten auf und waren in den nächsten Sekunden verschwunden, als hätte die Dunkelheit sie gefressen.
    Er dachte manchmal auch an seine Frau, die die Nächte ohne ihn verbringen musste. Sie hatte sich daran gewöhnt, und da gab es ja auch noch die beiden Kinder, um die sie sich kümmern musste. Der Junge stand schon im Beruf. Er hatte sich für eine Lehre in einer Autowerkstatt entschieden und war dort geblieben. Das Mädchen ging noch zur Schule und machte dort gute Fortschritte.
    Es war ein ruhiges Familienleben, das die Durmotts führten, abgesehen von seinem unregelmäßigen Dienst.
    Der Gedanke an den seltsamen Vogel war schon so gut wie vergessen, als er die Geschwindigkeit zurücknahm und wieder auf einen Bahnhof zufuhr, der ihm wie eine Oase in einer dunklen Wüste vorkam. Ein paar einsame Laternenlichter huschten vorbei, ein Gebäude schien kleiner zu werden und in der Finsternis zu verschwinden, als der Zug vorbeiraste.
    Erneut schluckte ihn die Dunkelheit der Ebene, die bis zum Zielort Dundee reichte. Von den Hügeln der Landschaft sah er nichts. Die verschwanden in der Nacht und waren ebenso wenig zu sehen wie die Wolken am Himmel.
    Weiter ging es.
    Dundee würde bald in der Ferne erscheinen. Er sah die Stadt zunächst als entfernte Lichtglocke, die über dem Boden zu schweben schien wie ein Raumschiff, das dabei war, zur Landung anzusetzen.
    Es war trotz der Routine für Durmott immer wieder ein Erlebnis, bei Dunkelheit auf die Stadt am Meer zuzufahren, die auch der Endpunkt der
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