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Der Spion der Fugger Historischer Roman

Der Spion der Fugger Historischer Roman

Titel: Der Spion der Fugger Historischer Roman
Autoren: Roman Kessing
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Prolog
Sommer 1574
    »Habt Ihr das Drachenblut dabei?« Wie üblich hatte Edward Talbot deutlich lauter gesprochen, als es sich für die späte Stunde und eine geöffnete Haustür geziemte.
    »So redet doch bitte leiser, Master Talbot!« Der ältere Mann mit dem langen weißen, spitz zulaufenden Bart schüttelte unwirsch den Kopf unter seinem hohen Hut. Dann drängte er sich auch schon am Hausherrn vorbei in den dunklen Flur, ohne auf eine Aufforderung zu warten.
    Erst als die aus dicken Balken gezimmerte Tür geschlossen und sorgfältig verriegelt war, öffnete der nächtliche Besucher seinen weiten Mantel, unter dem eine große lederne Tasche zum Vorschein kam.
    »Es ist heute mit einer portugiesischen Karavelle aus La Coruña gekommen. Ich habe es persönlich in Empfang genommen, wie besprochen. Zu diesem Zweck war ich noch vor den königlichen Zollbeamten auf dem Schiff. Was für eine Plackerei! Die Kais von London sind ein schrecklicher Ort für einen Gelehrten wie mich. Ich hoffe sehr, dass ich nie wieder solche Botendienste für Euch verrichten muss, Talbot. Und schreit bitte nicht wieder!«
    Der Angesprochene tastete mit der rechten Hand verlegen unter seinen schulterlangen Haaren nach seinen fehlenden Ohrmuscheln. Die Narben waren immer noch empfindlich. Beide Ohren zu verlieren war eine grausame Strafe gewesen. Er musste sich endlich angewöhnen, leiser zu sprechen, als sein schwaches Gehör ihm gebot.
    »Ihr habt nun einmal mehr Privilegien als ich, Doktor«, sagte der Jüngere. »Und Euer Gesicht erregt bei der Obrigkeit keinen Verdacht, so wie meins. Deshalb war es sicherlich besser, dass Ihr diese Mühe auf Euch genommen habt. Ich bin Euch zu Dank verpflichtet – und den werde ich auch leisten, wie versprochen. Folgt mir bitte in mein Laboratorium. Es ist alles vorbereitet.«
    Gemeinsam gingen die beiden Männer auf uralten knarrenden Dielen über den dunklen Flur bis zu einer breiten steinernen Kellertreppe. Eine brennende Kerze stand am Treppenabsatz. Der Hausherr hatte sie wohl abgestellt, als das späte Klopfen ihn an die Haustür gerufen hatte.
    Schweigend nahm Edward nun das spärliche Licht auf und stieg dem Besucher voran die kunstvoll gewundene Treppe hinunter. Anders als der ältere Mann erwartet hatte, wurde es mit jedem Schritt in die dunklen Tiefen wärmer statt kühler, wie es in einem gewöhnlichen Keller der Fall gewesen wäre.
    »Ihr habt den Athanor (spezieller Ofen der Alchemie. Der Name leitet sich aus dem arabischen Wort at-tannur für (Back-) Ofen bzw. Wasserrohr ab.) bereits angeheizt?«, erkundigte sich der Ältere, der seine Freude über ein wenig Wärme nach der abendlichen Kälte am Fluss nicht verbergen konnte.
    »Ja, Doktor«, antwortete der Angesprochene und ging voraus in einen großen Raum, dessen fensterlose Wände aus Naturstein die Grundmauern des Hauses bildeten. Mehrere schlichte Öllampen waren hier eine durchaus großzügige Beleuchtung.
    »Schließt bitte die Tür hinter Euch, Doktor. Und nun seht her, der Ofen ist etwas ganz Besonderes geworden.« Mit einem Schritt war Edward Talbot auf den kreisrunden, ungefähr anderthalb Meter hohen Ofen zugetreten. »Hier, seht. Das sind die neuen Schieber, mit denen sich der Luftstrom im Innern und damit die Intensität der Glut regulieren lässt. Diesmal müsste es endlich gelingen.« Der Gastgeber hatte beinahe andächtig gesprochen. »Aber legt doch Euren Mantel ab, dort auf den Stuhl. Ich kümmere mich derweil um das weiße Elixier, mit dem wir das Einhorn werden bändigen können. Es müsste bald soweit sein.«
    Der Besucher nickte und entledigte sich seines dicken schwarzen Mantels. Dann nahm er die lederne Tasche ab, die er sich um die Schulter gebunden hatte, um die Hände stets frei zu haben, und legte sie auf das mit Büchern und Pergamenten übersäte Studierpult des Hausherrn.
    »Ihr werdet nie ein rechter Alchemist, Master Talbot«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ordnung ist der Pfad der Tugend, der zur wahren Erkenntnis führt.«
    »Das stimmt nicht«, ließ der Angesprochene sich vernehmen, wobei er geschäftig an dem neuen Ofen hantierte. »Ordnung pflügt halbwegs Bekanntes nur immer wieder um wie ein Bauer den Ackerboden. Wirklich Neues kann nur der Wagemut der Unordnung gewinnen. Gott schuf die Welt aus dem Chaos. Er selbst war es, der ihr Ordnung verlieh und dem Chaos damit ein Ende machte. Ich bin mit meiner Arbeit noch im Zustand des Chaos und muss erst sehen, was sich daraus erschaffen
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