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Der Spion der Fugger Historischer Roman

Der Spion der Fugger Historischer Roman

Titel: Der Spion der Fugger Historischer Roman
Autoren: Roman Kessing
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nicht lange, da tropfte erneut ein wenig flüssiges Silber in den Tiegel. Es folgte ein zweiter Tropfen. Ein kleines Rinnsal entstand, das dann aber so schnell versiegte, wie es entstanden war. Doch es schien dem Doktor, als hätte die Größe des winzigen Sees sich diesmal verringert.
    »Aber . . . es ist ja wieder nur das Einhorn«, konnte der Ältere einen Anflug von Enttäuschung nicht verbergen. Talbot erwiderte nichts; sein Gesicht zeigte nur ein unbeirrt zuversichtliches Lächeln.
    »Oder sehe ich ihn nur nicht, Master Talbot? Ihr treibt ein grausames Spiel mit mir! Wo ist er? Wo hat der Alleine sich versteckt? Wo habt Ihr ihn versteckt? Oder ist die chymische Hochzeit womöglich doch nicht gelungen?«
    »Ihr schaut in den falschen Tiegel, Doktor«, sagte Talbot. »Nicht auf dem weißen Einhorn reitet die Sonne in die Welt des Dinglichen. Nur der hellste und reinste Lebensgeist, der
mercurius vivus,
kann des Himmels Einfluss zu uns herabführen. Seht her!« Und mit einer neuerlichen großen Geste öffnete der Alchemist den Ofen und entnahm mit der langen eisernen Zange die rot glühende Schmelze, in die der Doktor sofort ein Blick warf. Doch sie schien ihm gänzlich leer zu sein.
    »Ihr müsst besser schauen, Doktor. Ich sehe Enttäuschung auf Eurem Gesicht. Aber seid versichert: Das magische Experiment ist gelungen. Schaut nur gut hin! Vielleicht sind Eure alten Augen nur zuschwach zu dieser späten Stunde, so wie bei mir die Ohren.«
    Und tatsächlich: Ganz unten im Tiegel, zu einer winzigen Kugel geformt und schwarz vom Ruß der Reaktionen, schimmerte irgendetwas.
    »Seht nur genau hin, lieber Doktor. Das ist keine Täuschung. Ihr habt jeden meiner Handgriffe genau studiert und verfolgt. Es ist der wahre, reine Pfad, den ich Euch gezeigt habe. Es ist die Transmutation. Aus dem Chaos habe ich das Licht erschaffen, das magische Licht der reinen Sonne. Seht nur hin, seht ganz genau hin! Könnt Ihr es jetzt endlich erkennen?«
    Dem älteren der beiden Männer wurde vor Aufregung der Mund trocken. Die Erhabenheit dieses Augenblicks drohte ihm die Sinne zu rauben. Konnte das sein? War dies der so lange, so schmerzlich, unter so vielen Entbehrungen und von so vielen Meistern gesuchte Weg? Und hatte er ihn hier, in diesem heißen, dampfenden Keller, nun endlich schauen dürfen?
    »Ist es tatsächlich . . .« Der Doktor wagte kaum, die großen bedeutungsschweren Worte auszusprechen. »Ist es tatsächlich tingiertes Gold, was ich in dem Gefäß sehe?«
    Talbot genoss einige Augenblicke lang schweigend seinen Triumph, ehe er antworte: »Ja, es ist Gold. Reines, edles Gold, der Sonne gleich. Das weiße Einhorn ist zu seinem Vater zurückgekehrt und zu einer Einheit mit ihm verschmolzen. Vater Gold, Sohn Quecksilber und der heilige Geist eines wahren Adepten, eines Meisters der Alchemie. Das große Geheimnis ist nun keines mehr. Jedenfalls nicht mehr für uns, John Dee!«

1.
Am Tag darauf vor der portugiesischen Küste
    Das Wetter war klar gewesen, der Wind günstig. Eine leichte Brise hatte von achtern geweht, so wie alle es sich gewünscht und wie der kluge Navigator es während ihres letzten Halts auf Terceira vorhergesagt hatte. Aus Richtung Sonnenuntergang hatte ein verlässlicher Wind geweht und sie diese letzte Etappe nach Hause gebracht. Funchal auf Madeira hatten sie sich bei diesen Bedingungen als weiteren Hafen sparen können. Alles war bestens gelaufen.
    Aber dann . . .
    Nichts hatte auf die gewaltige Katastrophe hingedeutet, die das stolze Schiff wie eine Heimsuchung durch höllische Mächte erfasst hatte. Im einen Augenblick noch waren Friede und Zuversicht die Begleiter der Seefahrer auf den Weiten des Ozeans gewesen – im nächsten Moment brach das Unglück über sie herein, rasch und so verheerend. Binnen einer Sekunde war das Glück einer bislang erfolgreichen und sicheren Heimfahrt hoffnungslos zerstört worden – so fürchterlich, dass es keine Worte dafür gab. Nur Schmerz, Angst und Todesgewissheit waren den Seefahrern geblieben.
    Diego wagte ein erstes Mal nach dem plötzlichen Schmerz, dem Entsetzen und der schwarzen Verzweiflung, die Augen zu öffnen. Der Himmel über ihm war immer noch blau, doch es war kein freundliches, heiteres Blau mehr wie noch am Morgen. Wie lange mochte es her sein, dass er gut gelaunt das erste Mal an diesem Tag aus dem Aufgang zu den Mannschaftsquartieren herausgetreten war und die frische Meeresluft geatmet hatte?
    Drei Dutzend Männer, viele Tage und Nächte
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