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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu
Autoren: Pauline Gedge
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Erster Teil
KAMEN
     
     
Erstes Kapitel
     
    Der Monat Thot hatte gerade begonnen, als ich sie zum ersten Mal sah. Mein Befehlshaber, General Paiis, hatte mich als Begleitschutz für einen königlichen Herold nach Süden, nach Nubien, geschickt; für mich war dies ein ganz gewöhnlicher Auftrag, und wir befanden uns bereits auf dem Heimweg, als wir über Nacht im Dorf Aswat anlegen mußten. Noch war der Fluß nicht angestiegen. Träge floß er dahin, und wir kamen zwar auf dem Rückweg schneller voran als bei der Hinfahrt, dennoch war der Weg lang, und wir sehnten uns nach den vertrauten Annehmlichkeiten des Deltas.
    Aswat ist kein Ort, den man aus freien Stücken aufsucht. Das Dorf besteht aus kaum mehr als einer Ansammlung von kleinen Lehmhäusern, die sich zwischen Wüste und Nil ducken - obwohl es am Dorfrand einen recht schönen Tempel gibt, der dem örtlichen Schutzgott Wepwawet geweiht ist. Der Weg am Fluß zieht sich dort, wo er ins Dorf hinein- und wieder hinausführt, gefällig unter schattenspendenden Palmen dahin. Der Herold hatte ursprünglich auch nicht geplant, mit unserem Boot anzulegen, ja, er schien sogar zu zögern. Doch ein ausgefranstes Tau an der Takelage war gerissen, und an ebendiesem Nachmittag verstauchte sich jemand von der Mannschaft die Schulter, so daß mein Vorgesetzter mißmutig befahl, die Riemen einzuziehen und auf dem Ufer, unweit von Aswats Andachtsort, ein Kochfeuer anzulegen.
    Das war gegen Sonnenuntergang. Als ich an Land ging, konnte ich durch die Bäume den Tempelpylon sehen und erhaschte einen Blick auf den Kanal, auf dem Besucher des Gottes zu ihm gelangen konnten. Re neigte sich dem Horizont zu und färbte das Wasser rot. Die Luft war warm und voller Sonnenstäubchen, und nichts störte die Stille, wenn man vom Geraschel und Gezwitscher brütender Vögel absah. Falls die Bauern nicht einen heftigen Haß auf die Boten des Pharaos hegten, würde ich an diesem Abend nichts zu tun bekommen. Doch pflichtbewußt, wie ich war, verließ ich das Ufer, auf dem die Ruderer bereits alles Holz sammelten, was sie finden konnten, während sich der Rest der Mannschaft mit einem neuen Tau für die Takelage abmühte, und überprüfte den Weg zum Fluß und die wenigen Bäume, ob meinem Herold von dort etwa Gefahr drohte. Natürlich nicht. Falls es auf dieser Reise zu echten Schwierigkeiten hätte kommen können, mein General hätte zur Bewachung des königlichen Boten einen erfahrenen Soldaten abkommandiert.
    Ich zählte sechzehn Lenze, hatte die Schule seit zwei Jahren hinter mir, durchlief die militärische Ausbildung und hatte noch nie im Kampf gestanden, wenn man von den rauen Spaßen auf dem Exerzierplatz absah. Gern hätte ich einen Posten in einer der östlichen Festungen des Pharaos gehabt, wo fremdländische Stämme gegen unsere Grenzen anrannten, weil ihnen die üppige Fruchtbarkeit des Deltas ins Auge stach. Dort wäre mein Schwert endlich zum Einsatz gekommen, doch ich argwöhnte, daß mein Vater seinen Einfluß geltend gemacht hatte, damit ich in der Stadt Pi-Ramses und in Sicherheit blieb, denn ich wurde an die häusliche Wachmannschaft von General Paiis überstellt, ein langweiliger und bequemer Posten. Meine militärische Ausbildung lief weiter, doch die meiste Zeit bewachte ich die Mauern des Generals oder stand vor der Tür seines Hauses und sah zu, wie die Frauen kamen und gingen, Damen von Adel und Schönheiten aus dem Volk, betrunken und glücklich zerzaust oder elegant und trügerisch kühl, denn Paiis war schön und beliebt, und sein Bett blieb nie leer.
    Ich sage mein Vater, und das ist er für mich auch, obwohl ich immer gewußt habe, daß ich ein angenommenes Kind bin. Mein wahrer Vater war in den frühen Kriegen des Pharaos gefallen, und meine Mutter starb bei meiner Geburt. Meine Pflegeeltern hatten keine Söhne und nahmen mich freudig auf. Mein Vater ist Kaufmann und sehr reich, und er wollte, daß ich in seine Fußstapfen trete, aber irgend etwas in mir sehnte sich nach dem Soldatenleben. Meinem Vater zuliebe zog ich mit ihm und einer seiner Karawanen ins Land der Sabäer, wo er seltene Arzneikräuter einkaufte, doch ich langweilte mich, und seine Bemühungen, mich für die Sehenswürdigkeiten, an denen wir vorbeikamen, und die auf unsere Ankunft folgende Feilscherei mit den Stammeshäuptlingen zu interessieren, wurden mir zusehends lästiger. Es kam zu einem hitzigen Wortwechsel, und als wir nach Pi-Ramses zurückgekehrt waren, gab er meinen Bitten nach und
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