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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman
Autoren: C.H.Beck
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allen Aufgaben entbunden hatte. Denn schließlich war ich dem Tod geweiht.
    Da betrat Gaillard den Raum. Mit perversem Gesichtsausdruck und im Stile eines kleinbürgerlichen Abteilungsleiters. Sein Gesicht glänzte vor Verzückung. Ich fragte mich, wie man eine solche Entschlossenheit an den Tag legen konnte, einen Kollegen aus dem Weg zu räumen. Vor allem mich. Ich war doch weder der unliebsamste noch der geltungssüchtigste. Die Willkür seiner Grausamkeit erregte ihn wahrscheinlich noch mehr. Ohne Grund machte es viel mehr Spaß. Er schaute mich scharf an und sagte dann: «Jedem das Seine.» Das war der dämlichste Satz, den ich je gehört hatte. Warum musste er seine Gemeinheit auch noch in Worte fassen? Jedem das Seine, jeder ist sich selbst der Nächste, das hatte ich mir schon gedacht, da brauchte ich ihn nicht dazu. Anscheinend wollte er mir den Rest besorgen. Er sah mir noch einmal fest in die Augen. Bestimmt dachte er sich: «Das gibt’s doch gar nicht, dass er überhaupt nicht reagiert, das gibt’s doch gar nicht …» Er schien sich über mein Verhalten zu wundern. Ich saß wie erstarrt da, und dahinter steckte keine Absicht. Ich konnte gar nicht anders. Staunte einfach nur über die Dinge, die geschahen. Aber alles hat ja seine Zeit. Ich wusste noch nicht, wann und wie, aber eins stand fest: Irgendwann würde ich zurückschlagen.

6
    Intensität der Schmerzen: 8

Gemütslage: bereit zu töten

7
    Als ich am nächsten Morgen die Patienten im Wartezimmer beobachtete, dachte ich: Jedem das Seine. Da saßen wir und fieberten unserer Diagnose entgegen. Bei manchen würde man einen Tumor feststellen, Krebs vielleicht, doch es würde auch Überlebende geben. Hätte es eine festgeschriebene Anzahl von Überlebenden gegeben, hätten wir uns wie die Tiere darum gerissen, einer von ihnen zu sein. Doch die Ungerechtigkeit des Zufalls machte einen Kampf sinnlos. Jedem das Seine, bedeutete in dem Fall: Im Angesicht des Schicksals ist jeder auf sich allein gestellt. Ich hatte solche Angst, mein bisheriges Leben aufgeben zu müssen. Alles, was mir zuvor so normal erschienen war (meine Gesundheit), erstrahlte nun in neuem Glanz. Ich pries die Stunden des unbändigen gesundheitlichen Glücks, das mir gar nicht bewusst gewesen war, und schwor mir, solche Stundenfür den Rest meines Lebens zu genießen, falls ich hier je wieder heil herauskommen sollte.
    Meine Frau war diesmal nicht mitgekommen, aber das war mir lieber so. Sollte auf den Röntgenbildern tatsächlich ein Tumor zutage treten, war es besser, wenn ich nicht reden musste. Den anderen die Hiobsbotschaft zu unterbreiten und, i-Tüpfelchen der Ironie, sie dann auch noch beruhigen zu müssen, war wohl das Schlimmste an der Sache. Mein Sternzeichen war der Skorpion, meine Natur die Diskretion. Ich zog mich gerne zurück, behielt die Dinge für mich, handelte im Verborgenen und brachte mich vor der Welt in Sicherheit. Von dem, was im Büro vorgefallen war, hatte ich Élise zum Beispiel gar nichts erzählt. Ich hatte nur flüchtig angedeutet, dass alles ganz gut gelaufen war; es war aber auch nicht besonders schwierig, ihr die Wahrheit vorzuenthalten, denn sie begann gleich darauf, von etwas anderem zu reden. Ihr Interesse an meiner alles entscheidenden Besprechung beschränkte sich auf die höfliche Frage, ob ich einen schönen Tag gehabt habe, auf die sie gar nicht unbedingt eine Antwort haben wollte. Unsere Beziehung plätscherte in einer Formvollendung dahin, die es leicht erlaubte, über die Wunden des anderen hinwegzusehen. Ich musste mich nicht übermäßig anstrengen, um mich zu verstecken. Mein Leben rief ja allgemein nicht gerade überschäumende Aufmerksamkeit bei den anderen hervor. Das heißt, im Grunde log ich mir ein bisschen in die eigene Tasche: Um mich der nicht vorhandenen Aufmerksamkeit der anderen entsprechend zu verhalten, hütete ich meineGeheimnisse. Aber wenn jemand
wirklich Interesse
an mir zeigte beziehungsweise mir nur eine klitzekleine persönliche Frage stellte, erzählte ich ihm mein Leben von vorne bis hinten. Manchmal beneidete ich die Schamlosigkeit jener Leute, die dank einer wohligen Portion Egoismus stundenlang von sich selbst reden konnten.
    Kurze Zeit später wurde ich aufgerufen. Im Gegensatz zu seinem Kollegen vom Vortag kam mir der Radiologe eher distanziert vor. Er erläuterte mir knapp, was ich zu tun hatte, ohne mich dabei auch nur anzuschauen. Zu meiner Beruhigung redete ich mir ein, das sei bestimmt ganz normal. Er war
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