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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman
Autoren: C.H.Beck
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entgegengesehen haben? Wie viele waren heiter eingetreten und von Angst zerfressen von dannen gezogen? Ich kannte diesen Arzt überhaupt nicht, ich wollte ihn auch gar nicht kennenlernen, er war mir egal, und doch lag mein ganzes Schicksal in seinen Händen. Seine Aufgabe war es, die guten und die schlechten Nachrichten bekannt zu geben. Es gibt kaum einen demiurgischeren Beruf. Ich könnte den mit Sicherheit nicht ausüben. Würde ich einem bedrohlich anmutenden Röntgenbild gegenüberstehen, müsste ich einem Patienten den unmittelbar bevorstehenden Tod verkünden, würde ich auf der Stelle das Weite suchen. Mein Radiologe war aber immer noch da. Er hatte noch nicht die Flucht ergriffen.
    Aus der Kabine heraus rief er, ich dürfe mich wieder anziehen. Immerhin. Glücklich schlüpfte ich in meine Sachen,die mir eine Art Schutz boten. Er kam auf mich zu und vermeldete:
    «Also, die Röntgenaufnahmen machen im Großen und Ganzen einen ganz guten Eindruck …»
    «Im Großen und Ganzen?»
    «Sitzen die Schmerzen hier im unteren Rückenbereich?»
    «Ja … genau da.»
    «Also, ich denke, das ist nicht so schlimm. Aber hier … ein bisschen weiter oben … da ist so ein kleiner Fleck …»
    «…»
    «Sehen Sie, hier …», sagte er und deutete auf das Röntgenbild.
    «Ich sehe keinen Fleck.»
    «Na ja, er ist wirklich winzig klein. Und Sie brauchen sich deswegen keine Sorgen zu machen. Aber sehen Sie ihn wirklich nicht, da?»
    «Ach doch, tatsächlich.»
    «Das ist jetzt kein Grund, unruhig zu werden … aber ich würde Ihnen eine Magnetresonanztomographie empfehlen.»
    «Eine was?»
    «Eine Kernspintomographie … damit könnte man Ihren Rücken noch mal eingehender untersuchen. Und einen eventuellen Tumor erkennen.»
    «Einen Tumor? Meinen Sie, ich habe einen Tumor?»
    «Nein, nein … ich sag das nur ganz allgemein. Wahrscheinlich drücken einfach nur zwei Wirbel ein bisschen aufeinander.»
    «Das scheinen Sie aber nicht wirklich zu glauben …»
    «Doch, doch …»
    «…»
    Mir wurde ganz schwindlig angesichts der Worte dieses Mannes. Und schlecht. Ich wollte mich an die Wand lehnen, aber sie schien irgendwie nachzugeben. Der Arzt bat die Assistentin, ein Glas Wasser zu holen, und trat dann näher:
    «Hören Sie, das ist eine ganz gewöhnliche Untersuchung … Sie brauchen sich deswegen keine Sorgen zu machen. Es ist nur um sicherzugehen, dass Sie wirklich nichts haben …»
    «…»
    «Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Sie etwas haben», meinte er ohne große Überzeugung, anscheinend wollte er zurückrudern, damit ich nicht auf seiner Station umkippte, was den ganzen Tagesablauf durcheinandergebracht und seine Mittagspause verzögert hätte, in der er ja das kleine Flittchen vögeln wollte. Ich war nicht vollkommen durchgedreht. Dieser Mann hatte wirklich etwas Beunruhigendes an sich. Diese Art, die Sätze nicht zu Ende zu reden, drei Pünktchen zu setzen … Das musste doch etwas zu bedeuten haben. Man macht doch keine solchen Pausen, wenn man nichts zu verbergen hat! Wieso hatte er überhaupt kein Einfühlungsvermögen? Man kann nicht einfach so von «Tumor» sprechen und danach so tun, als sei nichts gewesen. Ich fragte ihn, wann ich zu dieser Untersuchung erscheinen sollte.
    «Am besten so bald wie möglich. Dann … haben Sie es hinter sich.»
    «Sagen Sie das nur so oder weil Sie nicht sagen wollen, dass die Zeit drängt?»
    «Nur so. Je schneller Sie die Sache hinter sich bringen, desto schneller sind Sie beruhigt.»
    «…»
    «Sie werden überhaupt nichts spüren. Das ist wie im Solarium», schloss er und schaute seine Assistentin an, die mit dem Glas Wasser zurückkam.
    Ich zog mich fertig an. Dieser Mann tauchte mich in ein Wechselbad der Gefühle. Wenn man ihm so zuhörte, konnte man glauben, dass ich nichts Schlimmes hatte. Aber auch er wollte weitere Nachforschungen anstellen. Auch er wollte
zu einer Diagnose kommen.
Und nebenbei hatte er das Wort «Tumor» fallen lassen. Das war eines der Wörter, mit denen man mir einen gewaltigen Schrecken einjagen konnte. * Da bekam ich den totalen Horror. Ich brauchte lange, bis ich mir das Hemd zugeknöpft hatte. Für jeden Knopf eine Ewigkeit. Beim Hinausgehen begegnete mir noch einmal die Assistentin. Sie schenkte mir ein breites Lächeln und sagte:
    «Den Vergleich mit dem Solarium macht er immer, das lockert die Atmosphäre.»
    «…»
    «Bei Rückenschmerzen steht man unter Stress, das ist ganz normal. Das zehrt einfach an den
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