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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Behandlungen verschrieb, waren vorbei. Es fehlten die finanziellen Mittel, deswegen kam man gleich zur Sache, wenn ein schlimmer Fall vorlag. Ich atmete einmal tief durch, um den Ausfluss meiner finsteren Gedanken zu stoppen. Gehen, einfach gehen, das war das beste, um mich zu beruhigen. Es war lange her, dass ich Paris zum letzten Mal an einem Dienstagvormittag gesehen hatte. Die Existenz von Dienstagen hatte ich überhaupt fast völlig aus meinem Gedächtnis gestrichen. Der Büroalltag hatte mich auch von so vielen anderen Tagen entfremdet. Das hier war ein Wechselbad der Gefühle. In meinen Adern brodelte die manische Depression. Aber langsam begann ich, Geschmack an meiner Irrfahrt zu finden. Es hatte etwas Magisches, mitten unter der Woche einfach so spazieren zu gehen, ohne konkretes Ziel. Ich beobachtete jede Einzelheit mit neugewonnenemEntzücken. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, wie banal das Ganze eigentlich war. Wie lächerlich meine plötzliche Schwäche für Dienstage war. Man liebt nur leidenschaftlich, wenn man Angst hat, die Dinge zu verlieren. Alles um mich herum erstrahlte in unwiderstehlicher Schönheit. Ich kam mir vor wie der Held aus
Tod in Venedig
, fehlte eigentlich nur noch die Cholera.
    Ich weiß nicht, wie mir Édouard in den Sinn kam. Unsere Freundschaft war in letzter Zeit nicht übermäßig eng gewesen, dachte ich, ich wollte ihn sehen. Édouard gehörte zu der Art von Freunden, bei denen man auch in gedrückter Stimmung auftauchen konnte, ohne sich groß dafür rechtfertigen oder seine Laune genauer begründen zu müssen. Nach gut einer Stunde Fußmarsch erreichte ich seine Praxis. Das Wartezimmer war leer. Ich nahm dezent Platz. Wenige Minuten später steckte er den Kopf zur Tür rein. Er zeigte nicht das geringste Erstaunen, sondern fragte mich: «Hast du Zahnschmerzen?»
     
       * Wir sind durch diese Maschinen so eng aneinandergebunden. Das ist an manchen Tagen ein wahres Glück; an anderen Tagen droht man, daran zu ersticken …

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    Intensität der Schmerzen: 7

Gemütslage: magisch

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    Nein, ich hatte keine Zahnschmerzen. Man durfte einen Freund doch auch mal besuchen, wenn man keine dicke Backe hatte. Auch wenn der Freund Zahnarzt war. Er wirkte sehr überrascht. Er hielt mich also für jemanden, der nicht dazu neigte, mit spontanen Aktionen für Verwunderung zu sorgen. Und er lag richtig. Ich war nicht der Mann fürs große Theater, und es war auch nicht meine Art,
unerwartet hereinzuschneien.
Ich zog es vor zu planen, vorher Bescheid zu geben, Vorbereitungen zu treffen.
    «Schön, dass du mich besuchst. Und das passt prima, Madame Garriche hat nämlich gerade ihren Termin abgesagt, das heißt, wir haben Zeit. Mein nächster Termin ist erst um Viertel vor drei.»
    «Ah, perfekt.»
    «Wir können zum Italiener um die Ecke gehen. Du wirst sehen, er macht ein hervorragendes Tiramisu.»
    «…»
    «Oder möchtest du lieber eine Île flottante?»
    Bevor wir ins Restaurant gingen, wollte er mir noch unbedingt seine neueste Errungenschaft vorstellen: einen ultrakomfortablen Behandlungsstuhl.
    «Schau, hier legt man die Hände drauf, gepolsterte Lehne …»
    «Aha …»
    «Das hilft, die Schmerzen erträglicher zu machen. Sieht vielleicht nicht spektakulär aus, aber das verringert die Angst des Patienten um zehn Prozent …»
    «Soso …»
    «Und das hier ist für die Beine … die Höhe lässt sich verstellen. Ein Komfort wie bei der Air France in der ersten Klasse …»
    «…»
    «Ich sage dir, in Zukunft werden die Leute sich auf ihre Zahnarzttermine freuen …»
    Auf diesen letzten Satz antwortete ich nicht. Er schien selbst zu merken, dass er ein wenig übertrieb. Ich fand es bewundernswert, wenn jemand (selbst ein Zahnarzt) so in seinem Beruf aufging und sich so fürsorglich um seine Patienten kümmerte. Mich interessierte zwar sein Stuhl nicht, doch sein berufliches Engagement rührte mich. So sehr, dass ich noch ein paar Fragen stellte, um weitere Einzelheiten über den Stuhl in Erfahrung zu bringen. Er freute sich wahnsinnig über meine Fragen, und so standen wir eineganze Weile da und betrachteten in gleichsam zum Möbelstück erstarrter Ekstase das Objekt.
    Auf dem Weg zum Restaurant hielt Édouard plötzlich inne:
    «Musst du denn … heute gar nicht arbeiten?»
    «Ich hab mir einen Tag frei genommen.»
    «Aha … aha …», machte er besorgt. «Aber es ist nichts Schlimmes passiert?»
    «…»
    «Gibt es irgendwas, das du mir sagen willst?»
    «Nein …»
    «Du
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