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Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim
Autoren: Fischnapping
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Tim Binding
     
    FISCHNAPPING
     
    Originaltitel: Rump Stake
     
    Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
     
    Für Katja
     
     
    EINS
     
    »D u hast Besuch«, sagte Bernie der
Schließer. Es war halb vier am Nachmittag. Ich hatte es mir eben mit einer Tasse
Tee und Gebäck vor dem Fernseher gemütlich gemacht.
    »Da läuft ein Western«, maulte ich. »Randolph Scott ist
gerade vom Pferd gerissen worden.«
    »Weiblichen Besuch, um genau zu sein«, sagte er. »Frauen.
Zwei.«
    Ich hatte seit gut dreieinhalb Jahren keinen weiblichen
Besuch mehr gehabt, nicht, seit meine Nachbarin Mrs Schnüffelnase mit einem
Stück makrobiotischem Weihnachtskuchen und der Raubpressung von einem
Leonard-Cohen-Konzert in Köln, 1988, aufgekreuzt war. Bernie hatte beides
konfisziert. Die CD sei illegal, meinte er, und der Kuchen sollte es sein. Zwei
Frauen? Halleluja.
    Ich strich mir mit ein bisschen Spucke die Haare glatt und
überprüfte auf dem Weg zum Besucherraum noch meinen Hosenschlitz. Ein gutes
Erscheinungsbild ist die halbe Miete, finden Sie nicht auch? Ich hätte mir die
Mühe sparen können. Audrey saß auf einem der kleinen blauen Plastikstühle,
Ellbogen auf dem Tisch, Hände gefaltet, darunter eine Packung Kippen. Frau
Nummer zwei saß ein wenig hinter ihr, als wäre sie in halb offizieller Mission
da, auf dem Schoß ein kleines Notizbuch. Sie hatte was an sich, das mein
kleineres Ich aufmerken ließ. Nichts, was ich hätte benennen können, aber sie
erregte meine Aufmerksamkeit und nebenbei noch ein bisschen mehr. Sie trug ein
dunkles, gut geschnittenes Kostüm, wie Anwältinnen es gern tragen, hatte eine
Kurzhaarfrisur und Lippen wie eine Ziege, ständig knabberbereit. Stellen Sie
sich eine junge, nachdenkliche Mia Farrow vor, die auf einem Büschel Disteln
rumkaut, dann wissen Sie ungefähr, was ich meine.
    Audrey hatte sich verändert, seit ich sie das letzte Mal
gesehen hatte. Die Audrey, die ich einmal kannte und liebte, hatte Haare in der
Farbe eines schlecht gefilterten Fischteichs gehabt, so undurchdringlich trübe,
dass man meinen konnte, es würde irgendwas Garstiges darunter lauern. Die Haare
der neuen Audrey waren knallgelb gefärbt und ragten stachelig in die Luft, als
hätte jemand ihre Zunge in eine Lampenfassung gedrückt. Sie trug eine große
Brille mit rotem Gestell, so eine, wie Elton John sie trägt, wenn er ein
bisschen Ruhe und Frieden haben will, und ihr blauer Hosenanzug sah verdächtig
modisch aus. Ich gab es nur ungern zu, aber sie sah gut aus, auf eine irgendwie
verrückte Art á la »Mir doch egal, was du von mir denkst«. Wenn ich nicht
gewusst hätte, was sie getan hatte, wäre ich vielleicht sogar auf sie
abgefahren.
    Ich setzte mich und nahm mir, ohne zu fragen, eine von
ihren Kippen. »Ich finde, du riskierst ganz schön was«, sagte ich, als sie sich
mit den Streichhölzern vorbeugte. »Eigentlich müsste ich jetzt schon halb über
dem Tisch sein, mit den Händen an deiner Gurgel.«
    »Dann würdest du dein blaues Wunder erleben.« Sie tätschelte
die Stelle, wo sich einmal ihr Bauch breitgemacht hatte. Jetzt fehlte davon
jede Spur. Er war ersetzt worden durch eine Muskelschicht, die den Knöpfen von
Audreys weißer Bluse praktisch keinerlei Probleme mehr machte. Ich sah nach
unten.
    »Diese Beine da«, sagte ich. »Sind das deine?«
    »Diese Beine, Al, strampeln fünfzehn Meilen täglich auf
einem Fahrrad, zehn davon bergauf. Bei der kleinsten Dummheit deinerseits
quetschen sie dir die Eingeweide raus und verteilen sie im ganzen Raum. Also
los, versuch's doch, trau dich.«
    Sie lehnte sich zurück. Das kam mir schon bekannter vor.
Al und Audrey wieder mittendrin in ihrer alten Songs of Love and Hate -Nummer.
Ich ließ mir die Sache durch den Kopf gehen, überlegte, wie viel Schaden ich
anrichten könnte, bis die Schließer mich von ihr wegzogen. Der Augenblick
verging. Irgendwie war ich froh darüber. Es heißt, der Knast macht dich härter,
aber das stimmt nicht immer. Manchmal ist es umgekehrt. Niemand auf Gottes
weiter Welt ist sanfter als ein bekehrter Schläger.
    Miss Farrow spitzte die Lippen, als wäre sie angewidert.
    »Ms Cutlass hat Ihnen etwas mitzuteilen«, sagte sie. Ihre
Stimme war wie eine frisch geschnittene Hecke, akkurat und etepetete, etwas,
das die Nachbarn auf Abstand hielt.
    »Miss wer?«, sagte ich.
    »Ich hab meinen Namen geändert«, sagte Audrey stolz. »Ich
hab meinen Mädchennamen angenommen.«
    »Den Mädchennamen ihrer Mutter«, warf Ms
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