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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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    Als er vom Angeln zurückkam, sah er von weitem noch ganz vernünftig aus.
    Er trug einen ausgeblichenen, zerknautschten Anglerhut aus imprägniertem Segeltuch, ein großkariertes Hemd, das rot-grün-gelb schimmerte, und einen Overall aus schwarzem Kunstleder, dessen Tasche im Brustlatz ausgebeult war von zwei Pfeifen, einem Lederbeutel mit englischem Krüllschnitt und einer Schachtel Streichhölzer. Die hüftlangen Gummistiefel hatte er wie ein Gewehr geschultert. So kam er näher, einen Marsch pfeifend und mit weit ausgreifenden Schritten. Es war ein heißer Tag mit einem stahlblauen, flimmernden Himmel, viel zu heiß für einen Maimittag.
    Gerd Sassner blieb stehen und sah hinüber zu seinem Wochenendhaus. Es lag romantisch an einem Waldhang, umgeben von Blumenrabatten, die Luise selbst angelegt hatte. Als er das Haus kaufte, war es eine halbverfallene Holzfällerhütte. Zwei Jahre Wochenendarbeit genügten, um daraus ein kleines Paradies zu machen. Alle hatten sie angepackt … Luise – seine Frau – und die beiden Kinder, Dorle und Andreas. Sie hatten jeden Samstag und Sonntag gesägt und gehämmert, gepflanzt und umgegraben, kultiviert und umgesetzt, gestrichen und lackiert. »Da seht ihr mal, was Fleiß vermag«, hatte Gerd Sassner nach einem Jahr gesagt, als die ersten Blumen neben dem in der Sonne leuchtenden Haus blühten. »Wie soll es heißen?«
    »Villa Familienschweiß!« hatte Dorle vorgeschlagen. Aber man nannte es später doch ›Haus Frieden‹.
    »Das hat seine tiefe Bedeutung«, beendete damals Gerd Sassner seine Taufrede. »Hier soll immer Freude und Zufriedenheit herrschen, hier wollen wir der lauten Welt entflohen sein, hier ist wirklicher Friede. Und es soll keinen geben, der diesen Frieden stört … hier gibt es nur uns!«
    Sie hatten einen Kreis gebildet, sich an den Händen gefaßt und glücklich auf das kleine Haus gesehen.
    Gerd Sassner schob den zerbeulten Anglerhut weiter in den Nacken und begann erneut zu pfeifen. Dorle hob den Kopf. Sie lag in einem Liegestuhl und sonnte sich. Andreas übte an der Schmalwand Bogenschießen … er ließ den Bogen sinken und kratzte sich mit einem Pfeil durch die struppigen blonden Haare.
    »Paps hat einen guten Fang gemacht, Ma!« rief Dorle aus dem Liegestuhl zum Küchenfenster hin. Luises Gesicht erschien, ein schönes, gesundes Frauengesicht, von blonden Haaren umrahmt, noch jugendlich, mit einem Hauch von Make-up, eines jener Gesichter, die ein Mann ansieht und sofort weiß, daß er diese Frau lieben könnte. Sie lachte und sah den Weg hinauf, auf dem noch immer Gerd Sassner stand und pfiff.
    »Schon wieder Forellen!« Andreas, dreizehn, lang aufgeschossen und schlaksig, kam um die Hauswand herum und lehnte seinen Bogen unter das Küchenfenster. »Wenn er pfeift, hat er die Tasche voll. Wetten … heute hat er über zwanzig Stück! Jeden Sonntagabend! Ich komme mir bald selber wie eine Forelle vor.«
    Dorle sprang aus dem Liegestuhl. Ihr fünfzehnjähriger Jungmädchenkörper hatte die zarte, glatte Bräune, wie sie nur auf der Haut der Jugend schimmern kann. Selbst Sassner beobachtete seine Tochter manchmal verstohlen und mit Stolz. Ihre Haut ist wie mit einem Goldschimmer überzogen, dachte er dann. Genauso war es bei Luise … damals, vor zwanzig Jahren. Sie lag auf der Wiese des Freibades, ein Schulmädchen, Untersekunda, glaube ich, und ich hockte mich neben sie, ein schmalbrüstiger, halbverhungerter Student der Chemie, durch dessen hohle Backen der Wind pfeifen konnte und der über dem Rücken eine breite, noch rote Narbe trug. Erinnerung an Marienwerder. Beim Hinwerfen durchschnitt das russische Geschoß den Rücken. Hätte er gestanden, wäre es ein glatter Herzschuß gewesen. Da saß er nun auf der Wiese des Freibades, einer Oase inmitten einer Landschaft aus Trümmern und Häuserhöhlen, und betrachtete die blonden Haare des Mädchens.
    »Was sehen Sie mich so an?« hatte sie schnippisch gefragt.
    Und er hatte geantwortet: »Es ist das einzige, was man ohne Lebensmittelkarten oder Bezugsscheine bekommen kann.« Dann hatte er sich vorgestellt: »Gerd Sassner, Oberleutnant a.D. zur Zeit Student der Chemie. Eisernes Kreuz Erster und Zweiter Klasse, Deutsches Kreuz in Gold …«
    Und die Untersekundanerin hatte geantwortet: »Dafür bekommen Sie kein Gramm Butter mehr …«
    Mein Gott, wie lange war das her? Zwanzig Jahre. Und betrachtet man es genau – was sind zwanzig Jahre? Ein Atemzug, mehr nicht. Ein Wimpernschlag, wenn man sie
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