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Zu Schnell

Zu Schnell

Titel: Zu Schnell
Autoren: John Boyne
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würden, wenn sie mich erwischten. Aber ich wäre wirklich am allerliebsten nach Hause gegangen, dann könnte ich etwas essen, mich in die Badewanne legen und mich dann vor den Fernseher setzen, zusammen mit den beiden.
    Daraus, dass ich mich in den Nachrichten gesehen hatte, schloss ich, dass man mich suchte. Da war es besser, wenn ich mich vermummte. In einem Kleidergeschäft klaute ich mir eine Wollmütze. Ich hatte noch nie im Leben etwas gestohlen. Es war viel leichter, als ich gedacht hatte. Ich ging einfach in den größten Laden, den ich finden konnte, nahm eine Mütze vom Regal, riss das Preisschild ab, setzte sie auf und ging wieder raus. Ein bisschen Angst hatte ich schon, als ich durch die Tür ging. Aber es kam niemand hinter mir her. Vorsichtshalber fing ich aber doch an zu rennen, nur kam ich nicht weit, weil ich so müde und so hungrig war. Mir wurde immer schwindeliger, also blieb ich stehen. Zufällig erblickte ich mich in einem Spiegel. Ich sah schon ziemlich merkwürdig aus mit der Wollmütze auf dem Kopf. Es war nämlich ganz schön warm, aber weil man mich mit der Mütze meiner Meinung nach nicht erkannte, behielt ich sie lieber auf.
    Ich schaute auf die Uhr. Kurz nach eins. In der Innenstadt waren jetzt viele Leute unterwegs, die sich ein Sandwich kauften oder irgendwo zu Mittag essen wollten. Wenn ich jemanden sah, der etwas aß, lief mir das Wasser im Mund zusammen, und der Magen tat mir weh. Er knurrte nicht mehr, sondern schmerzte nur noch.
    Ich wollte endlich nach London fahren. Aber wie? Ich hatte ja kein Geld mehr für den Zug oder für den Bus, und bestimmt standen auf den Bahnhöfen überall Polizisten herum und warteten nur auf mich. Wenn ich mein Fahrrad noch hätte, könnte ich losradeln, auch wenn ich vielleicht ein paar Wochen unterwegs wäre. Das hätte mir nichts ausgemacht. Es wäre ein Teil des großen Abenteuers gewesen. Sollte ich zu Fuß gehen? Das klang verrückt, aber andererseits hatte ich gelesen, dass David Copperfield zu Fuß von London nach Dover gewandert war, ganz allein. Und wenn David Copperfield das konnte, dann konnte ich es auch.
    Diesmal schlief ich zwischen den Bäumen am Rand des Rugby-Spielfelds der Schule. Auf die Idee hätte ich schon früher kommen sollen, denn dort war der Boden viel weicher als bei der Turnhalle und auf dem Parkplatz. Deshalb tat mir dann auch der Rücken nicht so weh. Ich benutzte meine Tasche als Kopfkissen und meine Jacke als Decke und schlief immerhin ein paar Stunden. Als ich aufwachte, ging es mir allerdings noch schlechter als vorher. Ein paar Minuten lang wusste ich nicht, wer ich war und warum ich draußen im Freien schlief, und als es mir einfiel, fragte ich mich, ob es je besser werden würde. Ich war zwar erst vor drei Tagen abgehauen, aber mir kam es vor wie drei Jahre. Oder wie drei Leben. Und hatten Dad und Mam sich womöglich schon daran gewöhnt, dass ich nicht mehr da war?
    Als ich aufstand, passierte gleich etwas Blödes: Ich kippte um. Ich rappelte mich wieder auf, musste mich aber mit den Händen abstützen, wie wenn ich auf einem Drahtseil balancieren würde. Es dauerte ganz schön lang, bis ich einigermaßen sicher auf den Beinen war. Dann tat mir der Magen so weh, dass ich mich vor Schmerzen zusammenkrümmte. Ich schaute mich um, ob ich irgendwo etwas zu essen entdecken konnte, aber dabei spürte ich, dass ich gar nicht mehr essen wollte, obwohl ich seit dem zweiten Hamburger am ersten Tag keinen Bissen zu mir genommen hatte. Ich spürte den Hunger gar nicht mehr, ich hatte nur noch Schmerzen.
    Der Tag verging, ohne dass ich es richtig merkte. Alles blieb weit weg und verschwommen. Ich lief durch die Straßen und wollte etwas essen. Zwischendurch wäre ich gern nach Hause gegangen, aber ich wusste ja, dass das nicht ging.
    Und wo sollte ich diesmal übernachten? Ich hatte nicht die geringste Ahnung. Weil ich noch nicht im Park gewesen war, beschloss ich, dort zu schlafen. Der Park war nicht besonders weit weg. Das fand ich gut, weil ich nicht richtig laufen konnte. Meine Beine waren viel zu zitterig.
    Als ich zum Park kam, war es schon fast Mitternacht. Niemand da. Ich kam an der Bank vorbei, auf der Sarah und ich gesessen hatten, und wurde ganz traurig. Damals hatte ich nicht geahnt, wie gut es mir eigentlich ging und wie froh ich sein konnte, ein Zuhause zu haben, wo ich jederzeit hinkonnte und wo im Kühlschrank genug zu essen war. Und eine Mutter und einen Vater zu haben, selbst wenn Mam mit keinem Menschen
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