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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid
Autoren: Martin Clauß
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Traude Gunkel war die Erste, die ihre Fassung wiederfand.
    „Schloss Falkengrund“, sagte er nach einer Weile mit einer unnatürlichen, pfeifenden Stimme. „Wir wissen nicht viel über Schloss Falkengrund.“
    Die alte Dame erhob sich von ihrem Stuhl, ging mit resoluten Schritten zu dem Kuttenträger hinüber, spähte in taktloser, unerschrockener Weise unter seine Kapuze, wo sie nichts von Interesse zu finden schien, und drückte dann seine Hand. „Mein Name ist Gunkel. Ich bin Dozentin hier. Sagen Sie uns, wer Sie sind und was wir für Sie tun können. Wir sind gerade in einer wichtigen Besprechung.“
    Noch ehe sie ihren Satz beendet hatte, erfolgte die Antwort. „Ich überbringe Grüße an alle Anwesenden und ein spezielles Angebot.“ Nein, es war keine Antwort. Er sprach einfach drauflos, nach seinem eigenen Rhythmus, ohne auf sein Gegenüber einzugehen. Er wandte seinen Kopf nicht einmal der Dozentin zu, obwohl er doch gehört haben musste, aus welcher Richtung ihre Stimme kam.
    Während Melanie zusah, hatte sie das Gefühl, eine Szene aus einem Science Fiction-Streifen zu verfolgen: Eine 3-D-Projektion einer Gestalt, nicht interaktiv, sondern lediglich eine akustische und visuelle Botschaft darbietend. Doch natürlich konnte sie sehen, dass der Mann stofflich war. Artur hatte ihn geführt, und die Gunkel hatte ihm die Hand gedrückt. Trotzdem schien er nicht nur blind zu sein, sondern auch gehörlos. Er bekam nichts von dem mit, was um ihn herum vorging.
    Ein Bote. Nichts als ein Bote. Gewissermaßen sogar ein perfekter Bote. Er konnte gehen und sprechen, sonst nichts.
    Sie spürte, wie eine Gänsehaut über ihren Rücken kroch, langsam zwischen ihren Schultern beginnend und immer kälter werdend, je weiter sie nach unten vordrang. Die Gänsehaut wurde zu einer lähmenden Eisschicht, als der Mann weitersprach.
    „Unser Angebot ergeht an Melanie Kurleitner.“
    Melanie Kurleitner! Ihr Familienname lautete zwar „Kufleitner“ (vielleicht hatte er das auch gesagt – er sprach leise, er hatte offenbar nicht mehr alle Zähne, und seine Worte waren von viel Luft begleitet), aber es konnte kein Zweifel bestehen, dass sie damit gemeint war. Unwillkürlich ging sie an ihrem Tisch vorbei und trat einen Schritt vor, ihr Körper noch immer wie von einer Eishülle umgeben.
    Der Vermummte, der den Anschein hohen Alters machte, sprach weiter. „Wir bieten Trost an. Trost für solche, in deren Herzen Wirrsal und Sorge herrscht. Wir haben ein Programm. Und wir haben Gott.“
    „Ich bin nicht sicher, ob für Ihr Angebot Bedarf besteht“, mischte sich Margarete Maus ein. Auf Missionierungsversuche reagierte sie stets allergisch. Offenbar hatte sie noch nicht begriffen, dass der Mann sie nicht verstehen würde. „Melanie, kennst du diesen Herrn?“
    Melanie schüttete mechanisch den Kopf.
    Traude Gunkel öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann schwieg sie. Sie wirkte hilflos, schien nachzudenken, wie sie sich vor einem Menschen, der sie nicht sehen und hören konnte, den Respekt verschaffte, der ihr ihrer Meinung nach gebührte. Der Mönch – um nichts anderes schien es sich zu handeln – hatte erneut zu sprechen begonnen.
    „Wir alle sehen Dinge, und wenn wir darüber nachdenken, erkennen wir, dass sie nicht wirklich sind, dass sie keinen Bestand haben. Wir hören, fühlen, schmecken und riechen … Lügen. Oft erkennen wir das nicht, und selbst, wenn wir es erkennen, fällt es uns schwer, uns dagegen zu wappnen.“
    Melanie hatte das Gefühl, seine Worte seien speziell auf sie zugeschnitten. Woher wusste er, was ihr Problem war? Sie sehnte sich nach Klarheit, Klarheit über die Bedeutung ihres Traumes und über Madokas Anschuldigung. Wie konnten andere durch ihre Augen sehen? Das war unmöglich. Viel eher war sie zu akzeptieren bereit, dass alles, was sie sah, nicht real war. Das war leichter zu verstehen.
    „Unser Kloster geht Fragen der Sinneswahrnehmungen nach und zeigt Wege auf, sich von den Täuschungen, die sie bereithalten, freizumachen. Wir bereiten den Zweifeln ein Ende.“
    „Als wenn das so einfach wäre“, bemerkte Margarete leise. Und dann lauter: „Ohne unhöflich sein zu wollen, denke ich, wir sollten dem Herrn Wege zur Tür aufzeigen und der Vorstellung ein Ende bereiten.“
    „Als wenn das so einfach wäre“, sagte Trude Gunkel, und ein paar Studenten lachten.
    So schnell ließ sich Margarete nicht entmutigen. Sie stand auf, bat Artur, den Vermummten loszulassen, und ergriff an
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