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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid
Autoren: Martin Clauß
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Furcht nicht mehr als einen ständigen Begleiter. Damals, bei ihrem Unfall, hatte mit dem Sensenmann angestoßen und ihr Glas beinahe schon geleert. Spätestens seit diesem Zeitpunkt bemühte sie sich, das Gespenst namens Angst vollständig aus ihrem Leben zu verbannen. Das war auch ein Grund gewesen, sich in dieser Schule für das Okkulte einzuschreiben. Sie tat es, weil sie sich nach ihrem klinischen Tod zutraute, Gefahren ins Auge zu sehen, vor denen sie zuvor vielleicht zurückgeschreckt wäre. Immer schon war sie ein mutiger Mensch gewesen. Nach dem Unfall war ihre Courage noch weiter gewachsen.
    Falkengrund aber wurde nicht von Mut regiert, sondern von Furcht. Die Dozenten und Kommilitonen waren anders, als sie erwartet hatte. Keine eingeschworene Front, die Licht in das Dunkel brachte und sich tapfer dem Bösen entgegenstellte, sondern ein Haufen grübelnder Finsterlinge, die sich gegenseitig misstrauisch beäugten, wenn sie nicht gerade in Selbstmitleid zerflossen. Sicher, sie mochte sie, jeden einzelnen für sich gesehen (Madoka und die Gunkel einmal ausgenommen), aber alle zusammen machten sie diesen Ort unerträglich.
    Adieu , dachte sie, als sie an der Hand des Kuttenträgers durch die Tür ging und den Kies unter ihren Schuhen spürte.
    Sie würde sich in das Kloster fahren lassen und sich von einem blinden und tauben Mönch seine Vorstellung vom Sinn des Lebens und von der Erlösung erzählen lassen, unfähig, Zwischenfragen zu stellen, unfähig, ihn durch ihre Jugend oder Schönheit oder ein Grinsen an der falschen Stelle aus dem Konzept zu bringen. Er mochte ein hässlicher alter Kerl sein, fanatisch vielleicht, weltfremd, wie Mönche das sein durften, aber sie war ganz sicher, dass er sie nicht fesseln und in einer Klause einsperren würde, sobald er sie in seinem Kloster hatte, um sie zu vergewaltigen, zu quälen oder dem Teufel zu opfern. Die anderen schienen ihn für gefährlich zu halten, aber was brachte sie dazu, einen fremden Mensch kurzerhand als Bedrohung einzustufen? Menschenkenntnis? Erfahrung? Intuition? Nein, es war viel einfacher: Ein Mönch in unserer Zeit – verdächtig! Ein Mann mit einer doppelten Behinderung, der sich dennoch selbstbewusst und furchtlos zeigte – höchst suspekt! Jemand, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und eine tröstende Botschaft überbrachte, wo alle anderen nur Gefahren und drohendes Unheil sahen – das Böse in Person!
    Sie lächelte den anderen zu. Fünf Autos waren es. Jenes ganz links hatte die Türen geschlossen, und im Inneren waren mehrere Menschen mit Kapuzen zu erkennen. Die Türen der anderen standen weit offen, und einige ihrer Insassen waren ausgestiegen und schienen sie zu erwarten. Vielleicht betrachteten sie auch gedankenvoll die Fassade des Schlosses und fragten sich, was sie so traurig erscheinen ließ.
    „Melanie! Das ist Wahnsinn! Du kannst nicht einfach mit diesen Leuten gehen!“ Es war Artur. Er kam hinter ihr her gerannt, packte sie am Arm. Als der Kuttenträger merkte, dass es Probleme gab, blieb er stehen. „Du kennst diese Menschen nicht“, redete Artur auf sie ein. Er schüttelte ständig den Kopf, als könne er nicht begreifen, was sie tat. Für ihn mochte es so aussehen, als versuche er, sie zur Vernunft zu bringen. Sie sah das anders. Er wollte ihr Angst machen.
    „Ich kenne dich nicht besser als sie“, erwiderte Melanie ruhig. „Ich dachte einmal, ich würde dich kennen. Und dann hast du dich um 180 Grad gedreht. Jetzt bist du auf Madokas Seite.“
    Artur starrte sie mit geöffnetem Mund an. „Was hat das damit zu tun, wenn du …?“
    Melanie fuhr fort. „Diese fremden Leute hier haben dir etwas voraus, jeder einzelne. Und das ist, dass sie mein Vertrauen bisher noch nicht enttäuscht haben. Warum sollte ich ihnen misstrauen? Weil dieser Mann hier blind und taub und alt ist, weil er keine modische Kleidung trägt und weil er einen Glauben hat? Ich habe Augen und Ohren, und was bringt es mir ein? Den haltlosen Vorwurf, andere Menschen auszuspionieren! Was habt ihr diesem Mann hier vorzuwerfen, Madoka und du? Eines steht fest – ihr müsst euch etwas ganz Neues einfallen lassen. Eure hirnverbrannte Geschichte mit der Kamera in meinem Kopf wird auf ihn nicht passen! Vielleicht hasst ihr ihn ja deshalb.“
    Eine halbe Minute lang sahen sie sich wortlos an. Der Mann mit der Kutte wartete.
    „Lass mich los“, bat Melanie schließlich und öffnete Arturs Finger, die noch immer ihren Unterarm
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