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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid
Autoren: Martin Clauß
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umschlossen.
    Jemand kam ihnen von dem mittleren Wagen her entgegen. Ein mildes Lächeln schien seine Lippen zu umspielen, als er sich sanft zwischen sie und den Blinden drängte und sie beide zu der Limousine führte, deren Fahrer er offenbar war.
    Melanie wurde stumm ein Platz auf dem Rücksitz angeboten. Sie stieg ein, und für einen kurzen Augenblick keimte in ihrem Magen so etwas wie Unsicherheit auf. Es war keine Angst, nicht dieses schwarze Gespenst, das Falkengrund in seinen Krallen hielt, nur eine flüchtige Beklommenheit. Merkwürdigerweise verschwand sie, als der Fahrer ihre Tür für sie schloss und sie auf ein interessantes Detail in der Konstruktion dieser Karossen aufmerksam wurde.
    Es gab Glas, das nur von einer Seite aus durchsichtig war. In edlen Limousinen, in denen gut betuchte oder einflussreiche Menschen chauffiert wurden, kam es häufig zum Einsatz. Hier war es ebenfalls präsent, doch in einer Variante, von der Melanie noch nie gehört hatte. Die Scheiben waren umgekehrt eingesetzt worden. Von außen hatte sie bequem das Innere erkennen können, mitsamt den vermummten Insassen. Von Innen dagegen war die Außenwelt nicht mehr zu sehen. Sie verbarg sich hinter einer glänzenden Oberfläche, die ein kühles, leicht verzerrtes Spiegelbild des Wageninneren präsentierte.
    Mädchen, spätestens jetzt musst du skeptisch werden , sagte Melanie zu sich. Köstlich amüsiert über die Situation (und gleichzeitig eine Messerspitze irritiert) kicherte sie in sich hinein und griff schließlich doch nach dem Türöffner. Die Tür ließ sich problemlos aufdrücken, Melanie war nicht eingesperrt. Sie sah den Kies, auf dem das Auto stand, die anderen Wagen, dazu ein paar Studenten, die ihr ungläubig nachblickten, als würde sie freiwillig in den Tod gehen. Sie winkte ihnen gutgelaunt zu und schloss die Tür wieder.
    Wenn jemand nicht gesehen werden will, akzeptiert man das , überlegte sie lächelnd. Wenn jemand die Welt nicht sehen will, ist das verdächtig. Wir finden alles verdächtig, was wir nicht gewohnt sind, egal, ob es einen Sinn ergibt oder nicht.
    Eines war sicher: Entführen wollte man sie nicht. Das Auto mit seinen blinden Scheiben bot ihr lediglich ein wenig Ruhe. Ruhe, die sie in diesen Stunden bitter nötig hatte.
    Sie freute sich darauf, das Kloster zu sehen. Wenn es ihr dort gefiel, würde sie nach Falkengrund zurückfahren, ihre Sachen packen und für geraume Zeit bei den Mönchen einziehen, meditieren, beten, die Seele baumeln lassen. Sie glaubte jetzt schon spüren zu können, wie ihr die neue Umgebung gut tun würde. Am schönsten würde es sein, Madoka nicht mehr sehen zu müssen.
    „Wir fahren“, sagte der Mann, der sie abgeholt hatte. Er saß neben dem Fahrer.
    Durch die Windschutzscheibe, die als einzige natürlich nicht verspiegelt war, warf sie einen letzten Blick auf das Schloss. Eine Zeitlang hatte sie sich eingebildet, sich dort wohl zu fühlen. Aber wenn sie zurückdachte, fiel ihr im Nachhinein auf, dass sie es verlassen hatte, wann immer sich eine Gelegenheit bot. Jedes Wochenende, jenen freien Nachmittag hatte sie genützt, um den tristen Mauern zu entfliehen. Der Waldspaziergang mit Artur, die Besuche in der Justizvollzugsanstalt, das Eisessen in Triberg, bei dem sie Isabel nähergekommen war – das waren nur Beispiele. Lange Spaziergänge und ausgedehnte Spritztouren boten einen wichtigen Ausgleich zu dem deprimierenden Alltag auf Falkengrund.
    Offenbar war das ihr Schicksal.
    Sich keine Fesseln anlegen zu lassen.
    Sie war die Sorte Frau, die lieber von der Gefängnismauer sprang und riskierte, sich dabei den Hals zu brechen, als wieder hinter die Gitterstäbe zurückzukehren.
    „Es ist ein schöner Tag“, sagte sie, an den Fahrer gewandt, nicht an den Mann auf dem Beifahrersitz, denn von letzterem wusste sie, dass er sie nicht hören würde.
    Doch auch der Fahrer, der in diesen Sekunden den Wagen wendete und als erster in dem kleinen Konvoi auf das geöffnete Tor zufuhr, gab ihr keine Antwort. Entweder er war zu schüchtern, um etwas zu sagen, oder ihre Worte erschienen ihm zu belanglos.
    Oder … er hörte ebenfalls nichts.
    Melanie zuckte die Schultern und lachte stumm in sich hinein.
    Es war alles so neu und anders …

5
    Wie lange die Fahrt dauerte, konnte sie nicht sagen. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die sich die Zeit von einer Uhr umwälzen ließen – diese Arbeit übernahm sie selbst.
    Sie fuhren nach Süden, nach Südosten vielleicht, aber nach einer
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