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Zeit für Plan B

Zeit für Plan B

Titel: Zeit für Plan B
Autoren: Jonathan Tropper
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einem verlegenen Grinsen zu mir um, die Pipette noch immer hoch über dem Kopf haltend, wie den Taktstock eines Dirigenten, und sagte: »Was hab ich denn schon zu verlieren?«
    »Es muss schön für ihn sein«, sagte Lindsey mit einem Kopfnicken in Chucks Richtung. »Wo er auch hingeht, er trifft immer irgendjemanden, den er anquatschen kann.«
    »Für einen Mann mit einem Hammer sieht eben alles wie ein Nagel aus«, sagte ich. Ihre Augen lächelten mich über den Rand ihres Pappbechers hinweg an.
    »Was glaubst du, wonach er eigentlich auf der Jagd ist?«, fragte sie mich und stellte ihr Bier ab. Ich warf ihr einen Blick zu. »Abgesehen von dem Offensichtlichen«, verbesserte sie sich. »Ich meine, was glaubst du, weshalb er so entschlossen ist, mit möglichst vielen Frauen zu schlafen? Auf dem College, okay. Es ist ein akzeptabler Übergangsritus, aber mit dreißig ist das doch ein bisschen …«
    »Unreif?«
    »Eher bemitleidenswert«, sagte sie.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich matt. Ich trank einen Schluck Bier und behielt ihn im Mund, ließ die mikroskopisch kleinen Luftbläschen meine Zunge kitzeln, bis sie platzten. »Vielleicht hat Chuck einfach noch nicht die Richtige gefunden.«
    »Wie würde er das denn überhaupt merken? Er ist ja immer schon verschwunden, noch bevor das Laken trocken ist. Er hat einen noch größeren Peter-Pan-Komplex als du. Bei seinem gehört noch dazu, dass er vor Tagesanbruch aus dem Fenster davonfliegt.«
    Ich lachte. »Erstens hältst du jetzt mal den Mund«, sagte ich. »Und zweitens glaube ich, es ist eher eine Art James-Bond-Komplex. Er macht es nicht, um sich länger jung zu fühlen. Ich glaube, er macht es, um sich wie ein echter Mann zu fühlen.«
    Im Gegensatz zu Lindsey und Alison, die ihn erst auf dem College kennengelernt hatten, wusste ich, dass es bei Chuck nicht immer so gelaufen war, was vermutlich der Grund war, weshalb ich ihm weitaus mehr durchgehen ließ als die beiden. Wir waren zusammen aufgewachsen, hatten zusammen die Grundschule und die Highschool besucht, wo er es alles andere als leicht gehabt hatte. Von früher Kindheit an bis in unser drittes Highschool-Jahr hinein war Chuck mit Abstand das übergewichtigste Kind in der Klasse gewesen. Nicht auf eine groteske Weise fett, aber auf eine komische Weise plump, so dass er immer ein wenig ungepflegt wirkte. Er wurde nicht ständig gehänselt, wie es in diesen John-Hughes-Filmen der Fall ist, aber er litt trotzdem darunter, vor allem, wenn es um Mädchen ging. Durchseine witzige Art war er bei ihnen in gewisser Weise beliebt, aber sobald er an etwas Ernstem interessiert war, bekam er jedes Mal das übliche »Lass-uns-gute-Freunde-sein«-Gerede zu hören. Dann schoss er schließlich in die Länge, was, zusammen mit einer eisern durchgehaltenen Diät, sein Gewicht auf ein normales Maß reduzierte. Doch zu dem Zeitpunkt war es schon zu spät. Er hatte die ersten beiden Jahre auf der Highschool als Dickerchen gegolten, und bei dieser Einschätzung blieb es in weiten Kreisen auch für die nächsten beiden. Und wenn man sechzehn ist, dann ist die Einschätzung der anderen eben neun Zehntel der Wahrheit.
    Das College hingegen war ein perfekter Neuanfang für ihn, und Chuck schoss los wie ein Pferd aus dem Gatter. Vielleicht war es Kompensation, vielleicht Rache an all den Frauen für die früheren Zurückweisungen oder vielleicht auch nur all der aufgestaute, unterdrückte Sexualtrieb, den er nun, nachdem er jahrelang solo gelebt hatte, endlich mit jemand anders und in dem ausleben konnte, was er ungeniert »eine Nummer schieben« nannte. Wie auch immer man es erklären wollte, Chuck konnte gar nicht glauben, wie leicht es auf einmal war, sich flachlegen zu lassen, und er ging dabei mit einer unbändigen Ausgelassenheit zu Werke, als hätte er im Supermarkt einen Einkaufsgutschein gewonnen.
    Irgendwann gegen Ende des Colleges setzte bei Chuck der Haarausfall ein, und er bekam auf einmal das Gefühl, als hätte eine gigantische Uhr zu ticken begonnen. Es muss ihm entsetzlich ungerecht vorgekommen sein, dass er, der so hart darum gekämpft hatte, ein körperliches Handikap loszuwerden, aus seiner Sicht nun ein neues aufgebürdet bekam, über das er keinerlei Kontrolle besaß.
    Lindsey und ich beobachteten, wie Chuck das Mädchen näher an sich zog und ihr irgendetwas zuflüsterte. Sie lachte mit dem ganzen Körper und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Na ja, er beherrscht schon ein paar Kunststücke«,
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