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Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Titel: Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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Julie. Meine Liebe.
    Liest Du diese Briefe? Das hoffe ich, aber ich verlange nichts, ich halte mich im Hintergrund. Ich kann Dir nichts bieten, und ich kann verstehen, daß Du enttäuscht bist. Ich schreibe trotzdem, ich bin ja schließlich Dein Vater. Das Schreiben ist mir zu einer lieben Gewohnheit geworden, es beruhigt mich. Du weißt ja, wie die Situation ist, wie es mir geht. Gott und die Welt sind hinter mir her, weil ich Geldschulden habe, ich komme mir vor wie ein Stück gejagtes Wild. Gute Freunde habe ich nicht mehr, nur noch zwielichtige Kontakte. Kannst Du Dich an Bjørnar Lind erinnern? Er war mein bester Kumpel, wir haben uns schon als Kinder gekannt, jetzt will er nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich schulde ihm zweihunderttausend, und ich weiß nicht, woher ich die nehmen soll. Ich habe Angst, daß er mir seine Leute auf den Hals hetzen wird, Angst davor, was sie machen werden, wenn ich nicht bezahle. In der Szene gehen Gerüchte um, daß er versucht, sich einen Schläger zum Geldeintreiben zu besorgen. Weißt Du, was die mit ihren Opfern machen? Sie schneiden ihnen die Finger mit einer Heckenschere ab, mir wird schon schlecht, wenn ich nur daran denke. Der Alltag fällt mir sehr schwer. Mein Arbeitslosengeld reicht nicht aus, ich kann Rechnungen und Schulden nicht bezahlen.
    Wenn das doch nur endlich ein Ende hätte! Ich habe mir das alles selbst eingebrockt, und Du darfst Dir keine Sorgen machen, denk nur an Dich und sei fröhlich. Sei jung und gesund und vielversprechend! Glaub mir, ich versuche auf meine armselige Weise, alles in Ordnung zu bringen. Ich besitze noch einen Rest Tatkraft, auch wenn ich auf den Knien liege, ich habe Pläne. Träume. Mein Gehirn sucht fieberhaft nach einer Lösung. Es mahlt, es knirscht, es scheint zerspringen zu wollen. Wann haben wir beide uns zuletzt gesehen? Am 27. Mai, weißt Du das noch? Wir haben uns gestritten. Ich habe nur versucht, Dir zu erklären, zu welcher Besessenheit das Spielen werden kann. Die Leidenschaft, die Abhängigkeit. Du hast mit der Autotür geknallt, und ich dachte, ich werde sie niemals wiedersehen, noch eine Chance bekomme ich nicht. Ich fuhr mit dem Gefühl, in allem versagt zu haben, nach Hause in die Blomsgate. Es muß eine Lösung geben! Kann es sein, daß ich die einfach nicht sehe? Ich starre in die Zukunft, bis meine Augen tränen und brennen, ich laufe im Zimmer hin und her, ich beiße mir auf die Lippe, bis sie blutet. Ich denke oft an Mama, denke an sie mit Reue und Wehmut. An alles, was sie wegen meiner Sucht durchmachen mußte. Früher war alles leichter, sie hat auf uns aufgepaßt und für alles gesorgt. Sie war eine Art korrigierende Instanz. Ich kann nicht fassen, daß sie nicht mehr da ist. Einmal die Woche gehe ich zu ihrem Grab, das ist schwer. Oft möchte ich einfach nur auf die Knie fallen, im Boden wühlen, den Deckel vom Sarg reißen und sie zurückholen. Gestern habe ich eine Erika gekauft und vor ihren Grabstein gestellt, Du weißt schon, diese robuste rotlila Blume, eine Art Heidekraut. Du kannst mir glauben, ich sorge da für Ordnung, ich jäte Unkraut und dekoriere und gieße. Manchmal suche ich nach Spuren, ob Du vielleicht da gewesen bist und Dich ein bißchen um das Grab gekümmert hast. Tust Du das? Und stehst Du dann allein vor dem Grab und weinst? Mir gefällt diese Erkenntnis und der Beweis, daß der Tod uns alle heimsucht. Vielleicht verwelkt man dann einfach, so wie Oma dasitzt und verwelkt. In meinen schlimmsten Momenten habe ich an den Tod als eine Lösung gedacht, Du weißt, ich habe Opas alten Revolver. Verzeih mir meine Offenherzigkeit, Du bist nicht für mich verantwortlich. Ich werde sicher nicht sehr alt werden, ich bin doch jetzt schon so müde. Stell Dir vor, Oma ist schon neunundsiebzig. Aber sie sitzt vollkommen bewegungslos in ihrem Sessel und ist nur noch zum Teil lebendig. Sie lebt in einer Art Dämmerzustand, in dem nichts passiert. Ihr scharfes Profil aber ist noch das alte, ebenso wie ihr vorspringendes Kinn, das Du geerbt hast. Ich selbst kann nicht in einem Dämmerzustand verschwinden, bei mir zittert jede einzelne Zelle. Das Blut strömt durch meinen Körper, meine Finger zittern. Nachts horche ich in die Dunkelheit, dieses alte Haus ächzt und seufzt so, ich bekomme nicht viel Schlaf. Kommen sie jetzt, frage ich mich, ist das hier meine letzte Stunde? Heute war ich auf dem Arbeitsamt, aber niemand will einen Mann in meinem Alter. Und gute Zeugnisse habe ich auch nicht, nichts, was
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