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Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Titel: Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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Jetzt weißt Du alles. Jetzt weißt Du, wie es ist, ich bin schwer krank, meine Zukunft ist ungewiß, schlimmstenfalls werde ich zu einem Pflegefall, Du begreifst sicher den Ernst der Lage, und daß wir in Kontakt bleiben müssen, ich habe doch nur Dich. An allem bin ich allein schuld, das ist mir schon klar, aber es ist trotzdem schmerzhaft, so allein zu sein, wie ich das jetzt bin, es ist unerträglich. Ich sehe, daß andere Besuch bekommen, und es ist bitter, als einziger den ganzen Tag allein in der Zelle zu sitzen. Du hast sicher schrecklich viel zu tun, mit Prüfungen und so, ich weiß, daß Du tüchtig und zielstrebig bist, und ich freue mich natürlich darüber, daß Du die Schule so wichtig nimmst, und Du brauchst gute Noten, wenn Du Tiermedizin studieren willst. Also stürz Dich in die Arbeit und sei fleißig, aber vergiß nicht, daß ich hier sitze und warte. Ich hoffe auf ein bißchen Verständnis. Du bist jetzt fast erwachsen, Du bist ein Mensch, der differenziert denkt, vielleicht brauchst Du Zeit, vielleicht stehst Du unter Schock, aber das geht vorbei. Wir arbeiten unermüdlich, mein Verteidiger und ich, um einen Freispruch aufgrund meiner schlechten Gesundheit zu erwirken, aber ich kann hinzufügen, daß wir noch andere Möglichkeiten haben. Wenn ich jetzt an diesen schrecklichen Tag zurückdenke, den 7. November, dann ist mir sehr vieles klargeworden, denn Du mußt wissen, ich habe viel Zeit, während ich hier so sitze, und ich bin in mich gegangen und habe die Situation und das analysiert, was eigentlich passiert ist. Ich bin wie benommen durch die Straßen gegangen, ich hatte ein Fieber im Körper, ich fuhr auf einem Gleis und hatte keine Bremse. Vor mir klaffte der Abgrund, hinter mir gab es nur Elend, ich hatte das Gefühl, von einer Hundemeute gehetzt zu werden, dermaßen unter Druck zu stehen, daß mein Verstand darunter litt, wenn Du verstehst, was ich meine. Das alles wurde zuviel für mich, mir ist klargeworden, daß ich vermutlich psychotisch war. Ich erinnere mich vage an eine Auseinandersetzung in meinem Kopf, was an sich schon ein Hinweis auf eine Krankheit ist, und Du weißt natürlich, daß Geisteskrankheit zwangsläufig zum Freispruch führt. Ich war unzurechnungsfähig, das habe ich endlich begriffen. Wenn ich also überhaupt büßen muß, dann ja wohl in einem Krankenhaus, es stimmt schon, daß ich gestanden habe, aber ich werde mich nicht schuldig bekennen, das rät mir mein hervorragender Verteidiger Herr Friis. Jetzt weißt Du, wie es aussieht.
    Die Krankheit nimmt ihren Lauf, oft stürze ich auf dem Weg in den Hof, ich kippe auf dem Gang um, und die Wärter kommen von allen Seiten angerannt, versuchen, mich wieder auf die Beine zu stellen, ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, und manchmal gibt es witzige Sprüche, ich versuche, alles mit einem Lachen zu überspielen. Ich versuche zu verstehen, warum ausgerechnet mich das alles trifft. Abends liege ich auf der Pritsche und denke an die Zukunft, die sieht nicht rosig aus, trotzdem habe ich mich mit meinem Schicksal abgefunden, ich klage nicht, aber ich träume viel, von der guten Zeit mit Dir und Crazy. Freunde habe ich mir nicht zugelegt, ich verspüre keine Zugehörigkeit zu den anderen Insassen hier.
    Julie. Mein liebes Kind. Mach Dir keine Sorgen wegen Crazy, natürlich werde ich einen Ausweg finden, und wenn es sein muß, dann verkaufe ich das Haus, dann kannst Du mit ehrlichem Geld für ihn bezahlen. Mein Verteidiger wird mir helfen, es gibt wenigstens einen Menschen, der auf meiner Seite steht. Ich wollte das alles nicht, ich glaube, das weißt Du, und es wäre gut, wenn Du es laut sagen könntest, ich finde nicht, daß das zuviel verlangt ist. Kannst Du nicht in Dich gehen und ein wenig Nachsicht finden? Etwas, das mir meine Tage leichter machen kann?
    Der Justizapparat kennt keine Gnade, er ist eine Mühle, die mahlt und mahlt. Oft bin ich erschöpft, habe keine Kraft mehr, aber ich mag die Wärter, denen ist es egal, was wir getan haben, sie machen ihre Arbeit und sind freundlich, und ich muß hinzufügen: sehr viel verständnisvoller als andere Leute.
    Paßt Du gut auf Dich auf? Das Schlimmste von allem ist, daß ich Dir nicht mehr helfen kann, aber in Gedanken bin ich immer bei Dir, und auch wenn Du mir jetzt den Rücken zugekehrt hast, sind wir durch feste Bänder miteinander verbunden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß Du vielleicht zurückschreibst, daß Du mich eines Tages besuchst.
    Dieser Brief
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