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Gott ist tot

Titel: Gott ist tot
Autoren: Ronald F Currie
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Gott ist tot
    Ihr Knechte, seid gehorsam euren leiblichen Herren mit Furcht und Zittern, in Einfalt eures Herzens, als dem Herrn Christus.
    Epheser 6,5

    A ls junge Dinka-Frau verkleidet, erreichte Gott gegen Abend ein Flüchtlingslager im Norden Darfurs. Er trug ein dünnes grünes Baumwollkleid, abgetretene Ledersandalen, Creolen an den Ohren und einen Strang schwarzer und weißer Holzperlen um den Hals. Über der Schulter hing ihm ein Stoffsack, in dem ein Kleid zum Wechseln, ein Beutel Hirse und ein Plastikbecher steckten. In seiner rechten Wade klaffte eine Wunde, eine böse, schwärende Scharte im Fleisch, an der sich Trauben zuckender Maden gütlich taten. Die Wunde erfüllte einen doppelten Zweck. Erstens passte er damit besser zu den anderen im Lager, von denen viele durch Machetenhiebe der Dschandschawid-Milizen verletzt worden waren. Und zweitens half der starke, brennende Schmerz ein wenig, seine Schuldgefühle wegen der Flüchtlingsmisere zu lindern, der er dank einer unbarmherzigen polytheistischen Bürokratie ohnmächtig gegenüberstand.
    Oder zumindest beinahe. Immerhin hatte Gott den Sack mit der Hirse, und der Sack mit der Hirse war unerschöpflich, so dass er mit vollen Händen von dem süßen Korn herschenken konnte. Seit Wochen zog er schon so herum - folgte dem Pfad des Flusses Lol durch versengtes Grasland, teilte Hirse aus und fragte alle, ob sie wohl einen Jungen namens Thomas Mawien kannten. Die meisten verneinten. Einige, dankbar
für die Stärkung und bestrebt, sich zu revanchieren, logen und wollten den Jungen gerade gestern noch gesehen haben, unterwegs Richtung Norden, fort aus der Kampfzone, oder auch nach Südosten, und wenn Gott ihren Hinweisen folgte, verlor er den Fluss aus den Augen und verlief sich heillos. Er wanderte in großen Kreisen; oft kam er am selben Felsblock oder derselben Baumgruppe Tage später wieder vorbei. Von der Hirse gönnte er sich nichts, er aß Blätter, Abukwurzeln und einmal auch Überreste eines Straußenkadavers, die von den Menschen und von den Hyänen verschmäht worden waren.
    Er litt unter der Sonne, die er geschaffen hatte. Entkräftet von Hitze und Cholera brach er in einem Feld dürrer gelber Gräser zusammen. Sein Kleid rutschte in unzüchtige Höhen, aber die Austrocknung lähmte ihn so, dass er den Saum nicht herunterziehen konnte, und als sich zwei Wildhunde näherten und in weiten, hungrigen Kreisen um ihn herumzuschleichen begannen, war er zu schwach, sie zu verscheuchen.
    Erlösung kam in Gestalt der Dschandschawid. Die Hunde hörten sie schon von fern und nahmen Reißaus, aber Gott, noch immer wie gelähmt, konnte nur im Gras liegen und lauschen, während die Front aus Pferden und Landrovern herandonnerte wie eine riesige, entsetzliche Maschine, die alle Lebewesen vor sich hertrieb und den Boden erzittern ließ. Die Dschandschawid retteten ihn vor den Hunden, und seine Schwäche rettete ihn vor den Dschandschawid; wäre er in der Lage gewesen, aufzustehen und zu fliehen, hätten sie ihn mit Leichtigkeit eingefangen, und da sie in ihm nicht den Schöpfer des Universums gesehen hätten, sondern nur eine schlanke Dinka mit langem, anmutigem Hals und mandelförmigen Augen, hätten sie ihn so lange und so oft vergewaltigt, bis es ihn umgebracht hätte.

    Doch Gott blieb versteckt, während die Dschandschawid rechts und links an ihm vorbeijagten. Vögel stoben himmelwärts; Nagetiere flüchteten in ihre Baue. Selbst die Moskitos und Zikaden suchten das Weite. Durch das Getöse von Dieselmotoren und galoppierenden Pferden peitschten Gewehrschüsse. Ein Huf, rissig und mit schadhaftem Eisen, schlug nur Zentimeter von Gottes Kopf auf. Noch immer war er zu keinem Laut, keiner Bewegung fähig.
    Und dann, so urplötzlich wie sie gekommen waren, waren die Dschandschawid wieder verschwunden, und das Schweigen, das eintrat, war so absolut, dass es selbst Gott schwerfiel, seinen Ohren zu trauen.
    Als er zu sich kam, war es hell, und er stellte fest, dass er die Glieder wieder regen konnte, wenn auch nur langsam und unter Mühen. Er stand auf und folgte den Spuren der Dschandschawid, der Schneise aus niedergetrampeltem Gras, verbrannten Hütten und Kadavern jedweder Art, die geradewegs nach Norden führte, und als er ans Ufer des Lol zurückkam, warf er sich in das seichte Wasser, trank gierig, schmeckte Dreck und Kot und scherte sich nicht darum.
    Spät am selben Nachmittag kam Gott über einen furchigen Lehmpfad ins Flüchtlingslager und näherte sich
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