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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende
Autoren: Johanna Marthens
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Der Held der Stunde
     
    Die Tankstelle lag verlassen und leer, als ich am Nachmittag den Schlüssel im Schloss umdrehte und den Laden öffnete. Leif hatte mir die Verantwortung für das Geschäft übertragen, solange er sich vor den Behörden verstecken musste. –  Also vermutlich für immer. – Ich hatte mir noch keine ernsthaften Gedanken darüber gemacht, ob ich diese Aufgabe auch tatsächlich übernehmen wollte, dafür war meine Mutter fast ausgeflippt vor Freude. In ihren Augen war ich damit stolze Kapitalistin und stand kurz davor, Mullendorfs erste Multimillionärin zu werden. Das war natürlich absoluter Quatsch. Ich hielt es sogar für sehr gut möglich, dass das Geschäft an den Staat fiel, weil Leif als Grabflüchter nicht als Staatsbürger galt und vermutlich enteignet werden würde. Daher hatte Leif am Vormittag noch schnell ein Testament aufgesetzt, das mich als Alleinerbin einsetzte und das Gerhards Bruder, ein etwas zwielichtiger Notar aus Gallburg, in aller Eile beglaubigen musste. Eigentlich hatte ich danach noch ins Krankenhaus zu Pfarrer Bernhard fahren wollen, aber Leif ließ mich nicht. Er wusste, dass er sich umgehend ein gutes Versteck suchen musste, wo ihn die AVEKs nicht aufstöbern konnten. Mit mir hatte er besprechen wollen, wie ich den Behörden die Suche nach ihm so schwer wie möglich machen konnte.
    Ich hatte nicht gewusst, wie intensiv die Fahndung nach ihm ausfallen würde, aber dass sie nicht so schnell aufgeben würden, war auch in Gallburg zu merken gewesen. Einmal hatten wir einen dieser typischen dunklen Wagen gesehen, hinter dessen getönten Scheiben ein AVEK-Team die Passanten und den Verkehr beobachtete. Ein anderes Mal war ein AVEK-Pärchen mit einem Hund durch die Straßen gegangen, das keine Straßenecke unbeschnüffelt ließ. Leif hatte die ganze Zeit zusammengestaucht in meinem Auto gelegen, und nur seine Nase war kurz zum Vorschein gekommen, wenn ich ihm ein Zeichen gab, dass die Luft rein sei.  Aber selbst das war nicht sicher gewesen, weil sich noch immer einige Reporter in Gallburg und Moosberg aufhielten, die nach dem Touristenmörder Ausschau hielten. Die Aufregung um den Mörder und die herausgerissenen Herzen hatte sich noch längst nicht gelegt, auch in Mullendorf hatte ich ein Kamerateam gesichtet, das sich aber schnell wieder verzog, nachdem es ausführlich mit dem alten Eberhard über seine wirren Theorien zu Grabflüchtern gesprochen und die Trostlosigkeit des Ortes genossen hatte. Sie waren schnell wieder in ihren Mercedes geklettert und zurück nach Gallburg gefahren. Doch dort würden sie vermutlich auch nicht lange bleiben. In Berlin war in Sachen Vampire und Morde wesentlich mehr los, herausgerissene Herzen hin oder her. Dafür würden sicherlich demnächst wieder Spione in Mullendorf auftauchen, jedermann zu Leif befragen und nichts unversucht lassen, um ihn schließlich auch noch festzunehmen und ins Lager zu deportieren. Es würde nicht leicht für ihn werden. Warum musste jeder, der anders war, immer gleich als Ausgeburt des Bösen gelten? Saß die Angst vor dem Fremden in der Menschheit so tief, dass jeder beiseite geschafft werden musste, der nicht der Norm entsprach? Es waren bestimmt nicht alle Vampire mustergültige Exemplare ihrer Rasse, aber das waren die Menschen auch nicht. Und ein Mann wie Robert hatte mit Sicherheit niemandem etwas getan. Zumindest in den letzten Jahren nicht. Oder wenigstens letzte Woche nicht, in der Zeit, in der ich ihn kannte.
    Ich spürte, wie meine Hand zitterte, als ich das Geld in der Kasse der Tankstelle zählte. Wohin hatten sie Robert gebracht? Es gab ein paar bekannte Lager, von denen in den Medien berichtet wurde. Aber es hieß, die Dunkelziffer solle noch viel höher sein, und in versteckten Bergtälern, dünn besiedelten Gegenden und sogar in alten Bergwerksstollen und Salzschächten würde es wahre Horrorlager geben, wo die Schreie der Gefangenen niemals aufhörten, aber ungehört verhallten. Aus diesen Lagern wäre kein Vampir jemals wieder zurückgekommen. Ich schauderte bei dem Gedanken, was sie mit Robert anstellen würden, wenn ich ihn nicht rechtzeitig fand, und meine Augen füllten sich mit Tränen. Doch ich kämpfte tapfer dagegen an, zumal gerade ein Wagen vorgefahren kam. Mein Herz setzte für einen Moment aus, denn es war ein AVEK-Fahrzeug. Zwei Männer stiegen aus. Ich kannte sie nicht.
    Sie sahen sich desinteressiert um, bevor sie auf mich zutraten.
    »Sie sind Moona Sebastian?«, fragte
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