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Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Titel: Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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heranziehen, obwohl sie doch eigentlich zäher, ausdauernder, cleverer und berechnender sind als Männer. Das läßt ihn an Inga Lill denken. Sie hat es oft so gemacht, vor allem in der ersten Zeit. Sie hat ihre Stimme zuckersüß klingen lassen, hat sich eingeschmeichelt und ist hinter dieser geballten Feminität in Deckung gegangen, und er kam sich dann richtig brutal vor, weil er geradeheraus und offen war. Inga Lill, jetzt bist du nicht mehr da, du weißt nicht, was passiert, und dafür danke ich Gott. Ich verliere den Überblick, merkt er plötzlich, ich verzettele mich in Belanglosigkeiten, ich muß bald zur Sache kommen. Wie alt kann sie wohl sein, fragt er sich und mustert die junge Frau, ob sie schon achtzehn ist? Sie ist älter als Julie, und Julie ist sechzehn. Es spielt keine Rolle, ich kenne sie nicht, wir werden uns nie wiedersehen. Es kommen so viele Menschen hierher, sie erinnert sich an fast keinen, denn sie ist jung und lebt wie junge Mädchen eben leben, einen Großteil des Tages in einem Traum über alle wunderbaren Dinge, die sie vielleicht erleben wird.
    Sie schiebt die Ärmel hoch und macht sich an die Areit.
    Ihr Pullover liegt eng an und ist dunkelrot, sie sieht aus wie eine Blume, eine schmale Tulpe, frisch, straff und leuchtend. Ja, es ist für einen besonderen Anlaß. Herrgott, wenn sie wüßte! Aber er will nichts sagen, will sich nicht mehr als unbedingt nötig zu erkennen geben. Blumenkaufen ist etwas Alltägliches. Es wird später nicht mit dem anderen, das er tun muß, in Verbindung gebracht werden können. Was soll er machen, wie wird es enden? Er weiß es nicht, er läuft am Wegesrand, dem Weg zu einer Lösung. Der Laden genießt einen guten Ruf. Jeden Tag kommen viele Kunden her, er sieht vor sich einen stetigen Strom von Menschen, die ein und aus gehen. Unendlich viele Gesichter, unendlich viele Bestellungen, Sträuße in allerlei Farben. Er fällt in seinem grünen Parka nicht weiter auf. Die ganze Zeit hält er den Blick gesenkt, um die Aufmerksamkeit der jungen Frau von sich abzulenken. Wie alles blüht in den großen Eimern! Er kann es fast nicht fassen, daß das alles aus der schwarzen, nassen Erde kommt. Zu Erde sollst du werden, denkt er, und aus der Erde kommen Blumen. Löwenzahn oder Brennesseln. So soll es ja auch sein, der Tod ist besser als sein Ruf, davon ist er ganz überzeugt. Die junge Frau wartet geduldig. Sie ist Floristin. Sie hat ihren Berufsstolz. Sie ist eine Künstlerin, die mit Blumen arbeitet. Sie kann nicht einfach ein paar Stengel zusammenraffen, so rein zufällig, hier ist eine Komposition gefordert, Farbe, Form und Düfte, keine zwei Sträuße von ihrer Hand sind gleich. Sie hat ihre eigene Signatur, aber sie braucht etwas, um in Gang zu kommen. Einen kleinen Anstoß, eine Idee. Die bekommt sie nicht. Charlo ist stumm und unwillig.
    »Für eine Dame?« fragt sie vorsichtig. Sie bemerkt seinen Unwillen, sie versteht ihn nicht und findet ihn unangenehm. Er wirkt gleichgültig, als kaufe er für andere ein, er scheint sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen und kommt ihr nervös vor. Er scheint heftig zu schwitzen, sein Körper bewegt sich langsam hin und her, er beißt die Zähne fest zusammen. Sie denkt, vielleicht muß er einen Krankenbesuch machen. So etwas kann man ja nicht wissen.
    Charlo nickt, ohne ihren Blick zu erwidern. Aber dann fällt ihm ein, daß er den Laden schneller verlassen kann, wenn er ihr hilft und sich kooperativ zeigt. Er braucht jetzt einen klaren Kopf, darf sich nicht mehr verzetteln, muß seinen Plan in die Tat umsetzen. Meine Nerven, denkt er, die sind gespannt wie Drahtseile. Er hat gewußt, daß es so kommen würde. Er konzentriert sich jetzt wieder auf sein Ziel.
    »Ja«, sagt er. »Für eine Dame.« Wieder klingt seine Stimme zu schroff, und aufgrund einer plötzlichen Eingebung, die ihm klug vorkommt, fügt er hinzu: »Sie hat Geburtstag.«
    Erleichtert macht die junge Floristin sich an die Arbeit. Alles ist für sie wieder so, wie es sein soll, ihr schmächtiger Körper konzentriert sich. Ihre Schultern senken sich, die dünnen Finger greifen zu einer Zange, sie bückt sich über die Eimer und zieht Blumen heraus, eine nach der anderen. Ihre Finger schließen sich so behutsam um die Stengel. Sie scheint einen Plan zu haben, sie kennt kein Zögern mehr, keine Unsicherheit. Sie läßt ihren Blick über die Eimer schweifen, sie hat ein geübtes Auge, ist jetzt auch wieder selbstbewußt. Weiße Lilien, blaue Anemonen,
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