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Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Titel: Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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Wicken und Rosen. Langsam entsteht zwischen ihren Fingern ein runder Strauß in Pastelltönen. Sie fängt im Zentrum des Straußes mit einer Lilie an, diesem Kern, den die restlichen Blumen umkränzen sollen, wippend und wogend, aber dennoch festgehalten, so daß die Blumen einander beschützen und stützen, und das ist eine Kunst. Er sieht es und begreift es, er ist zutiefst fasziniert und verliert sich in dem, was hier vor seinen Augen entsteht, aber er fröstelt bei dem Gedanken, daß die Blumen einem grausamen Zweck dienen sollen. Er tritt von einem Fuß auf den anderen. Sein Herz hämmert unter seinem Parka, er will es beruhigen, aber das schafft er nicht, das Herz hört nicht mehr auf ihn. Ja, ja, denkt er, dann soll es eben hämmern, so heftig es will, ich habe ja auch noch ein Gehirn, und das funktioniert so wie es soll. Ich bestimme hier, ich gebe meinem Körper den Befehl zum Handeln. Auch wenn das Blut wild durch meinen Körper strömt und mein Gesicht rot färbt, so bestimme doch immer noch ich. Er holt noch einmal Luft, so tief, daß sie es hört und aufblickt. Sie ist sich über ihn im klaren, sie begreift, daß sich hier etwas zusammenbraut, aber sie kann sein Verhalten nicht deuten. Instinktiv klammert sie sich an ihr Handwerk, das sie beherrscht. Blumen binden. Charlo atmet jetzt wieder ruhig. Reiß dich zusammen, sagt eine innere Stimme, nichts ist passiert, noch nicht. Niemand kann etwas gegen dich vorbringen. Du kannst noch immer umdrehen, du kannst aussteigen, und das Leben wird wieder seinen gewohnten Lauf nehmen, es wird auf den Tod zugehen. Er schaut immer wieder schnell den Strauß an, seine Gedanken schweifen ab, er ist nur teilweise anwesend. Er ist eine Null, er ist ein Nichts, jetzt will er sich endlich von allem befreien. In Gedanken glaubt er, so einigermaßen zu wissen, wie das alles ablaufen wird. Er hat es ein ums andere Mal durchgedacht. Er wird den Moment beherrschen, er wird die Regie für alles führen, was passieren soll. Es gibt keinen Platz für unvorhergesehene Dinge, er wischt sie eilig beiseite. Er starrt aus dem Fenster, sieht, daß noch immer dichter Schneeregen fällt. Spuren, denkt er und tastet in seinen Taschen. Will sich davon überzeugen, daß er nichts vergessen hat. Das hat er nicht, er hat an alles gedacht, er hat viele Wochen lang nachgedacht. In Gedanken hat er geübt, und einige Male, im Schlaf, hat er vor Angst aufgeschrien.
    Der Strauß wächst.
    Die Türklingel bimmelt munter in der Stille, er fährt zusammen. Eine Frau kommt herein, sie trägt einen grünen Mantel mit einem schwarzen Pelzkragen, auf ihren Schultern liegen Schneeflocken. Sie wischt sie mit einem beigen Handschuh weg und schaut ihn aus dunkel geschminkten Augen an. Sie sieht mich abschätzend an, überlegt Charlo. Ist sie eine von diesen alten Scharfsichtigen, die alles registrieren? Details, ein Merkmal, die sie dann später beschreiben kann. Aber er hat doch keine besonderen Merkmale, das glaubt er zumindest nicht, er beruhigt sich wieder. Sie beugt sich über einen Eimer, zieht eine Rose heraus, mustert den Stengel mit zusammengekniffenen Augen. Rasch wendet er sein Gesicht ab. Dieses Gesicht, das ihm so groß vorkommt, es scheint nach unten zu hängen, zu wehen wie eine Fahne. Er steht da und schaut hinaus in den Schneeregen. Unter den Laternen ist der besonders deutlich, er fällt dicht, grauweiß und schräg durch die Dunkelheit. Er ist traurig. Wegen des schrecklichen Schicksals, das ihm auferlegt worden ist. Das habe ich nicht verdient, denkt er, ich bin doch ein herzensguter Mensch. Aber Angst essen Seele auf. Er ist dabei, sich selbst zu verlieren. Die junge Frau ist noch immer beschäftigt. Wird die denn nie mehr fertig, denkt er, der Strauß ist groß und schon ziemlich teuer. Er denkt an die Zeit, die vergeht, und hier steht er, exponiert und ausgeliefert. Das hier kann gefährlich für ihn sein. Von jetzt an ist alles gefährlich. Er ist auf diese Angst vorbereitet. Sie ist körperlich, aber er kann sie in Schach halten, wenn er das mit dem Atem schafft.
    »So kostet der Strauß jetzt zweihundertfünfzig Kronen«, sagt die Floristin. Sie schaut zu ihm auf, wendet ihren Blick dann aber schnell wieder ab. Sein Unwille macht sie noch immer unsicher. Er nickt und sagt, das ist gut so. »Das sieht schön aus«, fügt er hinzu, ein unbeholfener Versuch von Freundlichkeit. Sie lächelt erleichtert. Es gibt doch etwas Gutes in ihm, denkt sie und ist froh. Ich hätte reden und lächeln
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