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Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Titel: Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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vielleicht über Wind und Wetter und alte Zeiten plaudern. Wir könnten im Dickens ein Bier trinken, und alles würde anders werden. Aber es kommt kein alter Freund. Er hat keine Freunde, jetzt nicht mehr, auch keine Arbeit, er hat sich von allem zurückgezogen, er lebt in seiner eigenen Welt. Lebt mit Angst und Kummer und Sorge. Seine Welt ist klein und elend. Es ist der 7. November, und es fällt Schneeregen. Riesige feuchte Flocken. Er steckt sich eine Zigarette an, zieht kräftig daran, füllt seine Lunge mit Rauch. Es sticht, er muß husten, aber er weiß, das geht vorbei. Kurz darauf sieht er eine Tankstelle mit grellen neongelben Schildern. Er schaut zu den großen Plakaten von Hennes & Mauritz hoch. Sie beherrschen die Fassade des Hauses zu seiner Rechten. Seltsam, denkt er über die üppige Frau in der Spitzenunterwäsche, wie nackt sie ist, an diesem trüben Abend. Trotzdem scheint sie sich wohlzufühlen, er selbst ist naß und friert, aber das kann man wohl kaum als Qual auffassen. Es ist eher etwas, das er nur vage registriert, als sehe er sich selbst von außen. Kurze Zeit später sieht er den Eingang vom Blumenladen. Sofort verlangsamt er sein Tempo. Er geht das letzte Stück und schaut verstohlen durch das Schaufenster. Er kann jetzt nicht anhalten, denn er folgt diesem Gleis, vor ihm geht es steil nach unten, und dort verschwindet alles in der Finsternis. Gleichzeitig windet er sich innerlich, ist er erschüttert, begreift nicht, daß es möglich sein kann, daß er an diesen Abgrund geraten ist. Daß vor ihm eine einfache Aufgabe liegt, ein schändlicher Plan. Er, der gute alte Charlo. Charles Olav Torp. Ein ganz normaler Mann. Ein wenig vom Pech verfolgt, vielleicht, ein wenig schwach, sonst aber ein herzensguter Mann. Oder ist er vielleicht kein herzensguter Mann? Er glaubt schon, er beißt die Zähne zusammen, lehnt sich gegen die schwere Tür, sie geht nach innen auf. Er hört eine Klingel. Das klimpernde, helle Geräusch stört ihn. Er möchte lieber lautlos sein, niemand soll ihn bemerken, niemand soll ihn hören. Mitten im Raum bleibt er stehen. Sofort nimmt er den Duft wahr, süß und betäubend. Das wird zuviel für ihn, für einen Moment wird ihm schwindlig, er muß sein Gewicht auf den anderen Fuß verlagern, weil sich vor ihm alles dreht. Er hat lange nichts mehr gegessen, hat er das vergessen? Er weiß es nicht. Dieser Tag ist für ihn wie eine Schlammbrühe, als wäre er jetzt erst aufgewacht, und zwar am Rande des Abgrundes. Seine Augen irren durch das Geschäft. Er kommt sich vor wie in einem kleinen Dschungel aus Blumen und Grünpflanzen, Blättern und Blüten. Er sieht Seidenblumen und Gießkannen, Blumendünger und Blattglanzspray, sieht Kränze aus getrockneten Rosen. Ein unbeschreibliches Blütenmeer. Er liest exotische Namen, Chrysantheme und Erika, Hibiskus und Monstera. Eine junge Frau steht abwartend hinter dem Tresen. Sie erinnert ihn an seine Tochter Julie, aber sie ist nicht so schön wie Julie, denn Julie ist die Schönste, die Beste. Ihm wird warm ums Herz, wenn er an seine Tochter denkt. Zugleich empfindet er einen dumpfen Schmerz, und sein Verrat wird ihm in seiner ganzen Schändlichkeit bewußt. Er schluckt und richtet sich auf, sieht die junge Frau noch einmal an, sie ist schmächtig und blond, hat lange Zöpfe, und er registriert ihre dünnen Handgelenke, so unglaublich schmal und weiß. Sie ist jung, denkt er, ihr Körper ist geschmeidig wie der eines Katzenjungen. Sie kann Spagat und eine Brücke machen, vielleicht, jedenfalls glaubt er das. Ihre Haut ist frisch und rosa und ungewöhnlich klar. Ihr Blick sittsam gesenkt. Auf dem Boden stehen überall Blumen in roten und blauen Plastikeimern. Rosen, sieht er, rote und gelbe, andere Blumenarten, deren Namen er nicht kennt. Er bleibt stehen und schaut sich um, zögernd, mit den Händen in den Taschen. Für einen Moment ist er überwältigt. Er fühlt sich ungeheuer exponiert in dem scharfen Licht, allein mit der jungen Frau, die noch immer wartet. Sie sieht ihn jetzt an, ist unsicher, aber entgegenkommend. Sie steht gern hier, sie mag ihre Arbeit, bald ist Feierabend und sie wird nach Hause gehen zu ihrem möblierten Zimmer und einem heißen Bad. Vielleicht zu etwas Gutem zu lesen oder etwas im Fernsehen. Oder einem langen Telefongespräch mit einer Busenfreundin. Er weiß es nicht, aber er sieht, daß sie es gut hat, daß sie mit dem Stand der Dinge zufrieden ist. Manche Menschen haben es eben gut, denkt er, so muß
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