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Die Farm am Eukalyptushain

Die Farm am Eukalyptushain

Titel: Die Farm am Eukalyptushain
Autoren: Tamara McKinley
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EINS

    1921
    E s war Hochsommer. Sechs bunt bemalte Wagen rumpelten langsam über die gewundene, schmale Piste durch das Herz des australischen Outback. »Summers’ Music Hall« stand in leuchtend roten Lettern auf jedem der Wagen, die von schweren Karrenpferden gezogen wurden. Das kastanienbraune Fell und die anmutig gefiederten Fesseln der Tiere glänzten in der Sonne. Die Theatertruppe reiste seit über einem Jahr zusammen. Nun wollte sie nach Charleville, ehe sie sich nach Norden wandte, um den Winter an der Küste von Queensland zu verbringen.
    Velda Summers saß neben ihrem Mann auf dem Bock und bemühte sich, die bohrenden Kreuzschmerzen zu ertragen. Das Holpern und Schaukeln des Wagens bereitete ihr Übelkeit, und sie konnte das Ende der Reise kaum erwarten. »Wie weit ist es noch?«, fragte sie ihren Mann.
    Declan sah sie besorgt an. »Das fragst du mich jetzt zum fünften Mal an diesem Vormittag«, sagte er mit seinem anheimelnden irischen Akzent, den das weibliche Publikum so sehr bewunderte. »Geht’s dir nicht gut, Liebste?«
    Velda legte die Hände auf ihren schwellenden Bauch. »Ich glaube, dem Baby gefällt es nicht, so durchgeschüttelt zu werden«, schmollte sie. »Und ehrlich gesagt, Declan, mir auch nicht.« Sie hob die Lider mit den langen Wimpern, um ihn anzusehen, und milderte ihren nörgelnden Ton mit einem matten Lächeln.
    Nachsichtig lächelte Declan zurück. Das dunkle Haar fiel ihmin die Stirn, und die Sonne funkelte in seinen braunen Augen. »Wir sind bald da, Darlin’«, sagte er leise. »Dann kannst du dich ausruhen, während wir uns auf die Parade vorbereiten.«
    Mit einem tiefen Seufzer gab Velda ihm zu verstehen, dass sie darüber nicht glücklich war, und suchte eine bequemere Haltung auf dem harten Bock. Ihr blieb nichts anderes übrig, als dazusitzen und zu leiden, aber auch das Kissen, das sie sich ins Kreuz gestopft hatte, machte die Schmerzen im Rücken nicht erträglicher. Sie schmeckte den Schweiß auf ihrer Oberlippe und zerrte an ihrem Kleid. Der dünne Baumwollstoff klebte ihr am Leib, und trotz des breitkrempigen Hutes, den sie immer trug, um sich vor der Sonne zu schützen, bekam sie allmählich Kopfschmerzen.
    Die Hitze des Outback hüllte alles ein. Vor ihr gab es kein Entkommen, nicht einmal im Schatten der Bäume. Wolken von Fliegen und Moskitos umwehten sie, und das endlose Zirpen und Schnarren von Insekten summte in ihren Ohren. Veldas Kräfte waren verbraucht; sie welkte wie die fahlgrünen Eukalyptusblätter, die schlaff über ihnen hingen. Wie sehr vermisste sie die kühlen, nebligen Morgen ihrer irischen Heimat, den Duft des Regens auf dem Gras, das Tosen der Brandung an den schwarzen Klippen und den beißenden Geruch des Torffeuers im Herd!
    »Du bereust es doch nicht, oder?« Declan ließ die Zügel auf den breiten Rücken des Karrenpferdes klatschen, um es zu einer schnelleren Gangart anzutreiben.
    Velda schob die gefährlichen Gedanken an Irland beiseite, denn sie kamen nur in Augenblicken der Schwäche. Sie wusste, sie würde ihrem Mann bis ans Ende der Welt folgen – selbst wenn es dort so heiß wie in der Hölle und doppelt so ungemütlich wäre. »Niemals«, flüsterte sie. »Wie hätte ich dich auf diesem weiten Weg allein lassen können?«
    Ihre Antwort schien ihn zufrieden zu stellen. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Panorama vor ihnen zu.
    Auch Velda betrachtete die meilenweite Leere des sonnengebleichten Grases und der blutroten Erde, und trotz ihrer tapferen Worte spürte sie, wie die tiefverwurzelte Angst zurückkehrte, die immer in ihrem Hinterkopf lauerte. Sie waren so weit weg von jeder Zivilisation, so mutterseelenallein – was, wenn wieder etwas schief ginge? Dieses Australien war ein wildes Land, das selbst dem entschlossensten Herzen Angst einflößen konnte. Und obwohl Declan sie beschützte und umhegte, gab es Augenblicke, in denen sie sich aus ganzem Herzen wünschte, sie wären nicht hergekommen.
    Die Tränen ließen alles vor ihren Augen verschwimmen, und sie biss sich auf die Unterlippe, als sie an das einsame kleine Grab dachte, das sie vor einem Jahr hinter sich gelassen hatten. Ihr erstes Kind war eine Frühgeburt gewesen und hatte nicht lange genug gelebt, um Atem zu holen. Wahrscheinlich würden sie nie wieder dort vorbeikommen, und die letzte Ruhestätte ihres winzigen Sohnes würde von den Elementen und dem alles überwuchernden Busch verschlungen werden, bis nicht mehr
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