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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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L(i)ebenswert

    Ninosh rannte.
    Wie noch nie in seinem Leben, das immerhin seit dreiundzwanzig Jahren währte, musste er alles geben, um selbiges zu bewahren.
    Sie waren ihm dicht auf den Fersen.
    Ninosh wusste, dass er verloren war. Sein gestohlenes Pferd hatte ihn abgeworfen, als es von einem Armbrustbolzen gestreift wurde. Mindestens zwanzig Mann waren es, die ihn jagten, allesamt beritten, schwer bewaffnet und wild entschlossen, ihre Beute nicht entwischen zu lassen. Gleichgültig wo er versuchte unterzuschlüpfen, sie scheuchten ihn aus jedem Versteck hoch. Als ihn schließlich ein Knüppel hart im Rücken traf und zu Boden schickte, war er beinahe dankbar. Froh, dass es vorbei war. Vielleicht brachten sie ihn rasch um ...
    „Dreckige Vjalach-Sau!“ Ninosh wurde hochgerissen, angespuckt, herumgeschubst. Er hatte gewusst, wie riskant es als Vjalacher war, über die Grenze nach Nadisland zu schleichen, aber er hatte es nun einmal versuchen müssen, da seine Überlebenschancen in seinem eigenen Land noch geringer waren.
    Die Grenzpatrouillen der Nadisländer bestanden aus berittenen Kleintruppen von fünf bis dreißig Mann, man wusste nie, wo sie auftauchen würden. Eine Meile weiter im Landesinneren wäre Ninosh sicher gewesen. Dort wartete Ausrüstung in einem Versteck, unauffällige Kleidung, Geld, Proviant. Sie hatten ihn vorher erwischt und die halbe Nacht hindurch bis in den Morgen hinein gejagt. Hätte Ninosh nicht einen von ihnen überwältigen und dessen Pferd stehlen können, hätte die Jagd schon viel früher geendet … Und seine Häscher wären nun weniger wütend und übermüdet.
    „Wegen dir ist ein gutes Pferd verletzt! Das wirst du büßen!“ Ein Stockhieb brachte Ninosh erneut zu Fall. Und plötzlich schlugen sie von allen Seiten auf ihn ein, traten nach ihm, beschimpften und verfluchten ihn.
    Es dauerte nicht lange, bis er die Kraft zum Schreien verlor. Irgendwann hörte er das Gebrüll der Soldaten nicht mehr und auch der Schmerz rückte in weite Ferne …

    Geron war in Gedanken versunken, als sein Pferd plötzlich im ruhigen Schritt stockte und aufmerkte. Sofort setzte er sich aufrecht in den Sattel, seine Hand zuckte zum Reitersäbel. Es war nicht ungefährlich, allein in Grenznähe unterwegs zu sein, auch am helllichten Tage nicht. Allen Patrouillen zum Trotz schafften es immer wieder einige Vjalacher, sich einzuschleichen, um ihre Posten auszuspionieren. Wenn er ihnen in die Hände fiel …
    Doch da hörte er vielstimmige, wütende Rufe und gab seinem Hengst die Sporen. Das klang, als wäre ein harter Kampf im Gange, es war seine Pflicht als Bannerführer, dort mit einzugreifen. Dafür musste auch sein Auftrag ruhen, dem Bannerführer der Nordtruppen eine geheime mündliche Botschaft zu überbringen. Wirklich dringend war sie sowieso nicht.
    Ohne Schwierigkeiten konnte er dem Gebrüll folgen und den Ort des Geschehens finden. Was er dort sah, trieb ihn vor Wut und Entsetzen aus dem Sattel: Eine ganze Reitergruppe, die einen wehrlosen Mann zu Tode zu prügeln drohte! Das widersprach allen Gesetzen, mit denen sie versuchten, ihre Menschlichkeit zu wahren, trotz der Unmenschlichkeit ihrer Gegner.
    „Sofort aufhören!“, schrie er, warf sich in das Getümmel und stieß die Soldaten beiseite. Sie gehörten nicht zu seinen eigenen Leuten, stellte er dabei erleichtert fest.
    „Was geht hier vor?“
    Er kniete neben dem Verletzten nieder, der schwach stöhnend zusammengekrümmt am Boden lag. Es schien fast, als hätten die Soldaten absichtlich vermieden, ihn am Kopf zu treffen, was ihn rasch getötet hätte. Wenn, dann wohl vermutlich, um ihn länger quälen zu können. Er hoffte, dass das Unsinn war und sie sich in ihrer Wut eher zufällig auf Rücken und Beine des Opfers konzentriert hatten.
    Die Kleidung verriet, dass es ein Vjalacher war, deren Stoffe nicht die Qualität der Nadisländer erreichte. Mehr konnte Geron auf dem ersten Blick nicht über ihn herausfinden.
    „Bannerführer, dieses Schwein hat unseren Hauptmann überwältigt und dessen Pferd gestohlen! Wir haben ihn etliche Stunden lang verfolgt“, stammelte einer der Soldaten, die nun alle recht kleinlaut umherstanden. Er hatte Geron, der Tarnkleidung ohne Rangabzeichen trug, vermutlich an dessen dunkelbraunen Zopf erkannt – seit drei Jahren hatte er sich nicht mehr die Haare schneiden und einen kurzen Vollbart wachsen lassen, was eigentlich regelwidrig war. Bei ihm wurde es toleriert und es war sein Erkennungsmerkmal bei
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