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Grundlagen Kreatives Schreiben (German Edition)

Grundlagen Kreatives Schreiben (German Edition)

Titel: Grundlagen Kreatives Schreiben (German Edition)
Autoren: Pia Helfferich
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Figuren entwerfen
     
    Die Figuren sind das A und O einer Geschichte. Sind sie langweilig, trivial, unglaubwürdig, kann nichts den Leser noch halten. Positiv formuliert: Nichts ist spannender, als eine komplexe Figur kennenzulernen, einem Charakter nahe zu kommen, ihn zu verstehen, womöglich jemanden, dem man im richtigen Leben so nie nahegekommen wäre (man würde es eventuell auch nicht wollen). Wie bastelt man Figuren, die Leser berühren können?
     
    Erst die Figur, dann die Handlung
     
    Wichtig ist zunächst, dass die Figur der Ausgangspunkt der Geschichte sein sollte und nicht die Handlung. Das wird klar, wenn man sich Folgendes verdeutlicht: Die Figur hat einen speziellen Charakter, eine eigene Art die Welt zu sehen und zu handeln. Auf eben dieser eigenen Weise wird sie auf die Konflikte reagieren, denen sie in der Geschichte begegnet und genau das treibt die Handlung voran und formt sie .
     
    Material sammeln
     
    Die beiden Möglichkeiten, an Figurenmaterial heranzukommen, sind Phantasie und Realität und für sich allein ist keine dieser beiden Möglichkeiten gut. Beschränkt man sich nur auf das Ausdenken, läuft man Gefahr Klischees zu reproduzieren. Bildet man reale Menschen ab, kann man nicht nur verklagt werden, sondern man verschenkt auch Spielraum. Weder kann man einen Menschen so gut kennen wie eine Figur, noch sind Menschen so zielgerichtet, motiviert, dynamisch wie eine gute Figur. Jedenfalls in der Regel. Ideal ist deswegen eine Mischform. Man denkt sich Figuren aus und verlässt sich nicht komplett auf die Phantasie, sondern setzt sie aus Bestandteilen zusammen, die man an verschiedenen Menschen wahrgenommen hat.
    Auch wenn man „nur" eine Kurzgeschichte schreibt und gar nicht den Raum hat, einen Charakter in seinem ganzen Spektrum darzustellen, sollte man die Figuren doch so genau wie nur irgend möglich kennen. Gelegenheit für ein Hemingway-Zitat:
    „Wenn ein Prosaschriftsteller genug über das weiß, worüber er schreibt, kann er Dinge auslassen, die er weiß, und der Leser wird, wenn der Schriftsteller aufrichtig genug schreibt, ein so starkes Gefühl dieser Dinge haben, als ob der Schriftsteller sie erwähnt hätte."
    Zu den Dingen, die man über eine Figur wissen sollte, gehört ganz offensichtlich: Name, Aussehen, Beruf, Alter, Bildung, charakterliche Eigenschaften, Vorlieben, Abneigungen, Herkunft, Hobbys ...
    Weniger offensichtlich, dennoch wichtig und interessant: die Art zu sprechen, Handschrift, politische Ansichten, Narben, Wohnort und Wohnungseinrichtung, Gesten, Macken, Träume und Albträume, Beziehungen, Spitznamen, Besitz, Lieblingsgegenstand, religiöse Überzeugung, Modegeschmack, ...
    Diese Aufzählung ist nicht als abgeschlossen anzusehen.
     
    Grauabstufungen
     
    Wichtig ist es , Schwarz-Weiß-Malerei zu vermeiden. Eine Figur, die durch und durch gut ist, ist auch durch und durch langweilig. Kleine Fehler und Unzulänglichkeiten sind interessant, menschlich und bringen die Figur dem Leser näher. Genauso ist es mit den Bösewichten. Auch zu ihnen muss der Leser eine Beziehung aufbauen. Klar, er soll den eiskalten Serienmörder verabscheuen, er sollte aber gezeigt bekommen, dass dieser Serienmörder sich auch nach dem siebzehnten Mord liebevoll um sein kleines Kind kümmert. Ambivalenz ist das Geschäft der Literatur, Schwarz-Weiß-Malerei kann man an jedem Stammtisch bekommen.
     
    Organisch gewachsen
     
    Eine Liste für die Figurenentwicklung soll nicht bedeuten, dass man eine Figur am Reißbrett entwirft, sich hinsetzt und nacheinander einfach festlegt, wie sie sein soll. Genau wie ein Mensch besitzt jede Figur eine Persönlichkeit, die auf einer inneren Logik beruht und organisch gewachsen ist. Das heißt allerdings nicht, dass es wahnsinnig kompliziert ist, Figuren zu entwerfen und man erstmal ein Grundstudium in Psychologie absolvieren sollte. Am besten schaut man der Figur einfach zu wie in einem Film. Bevor man überhaupt an die Geschichte und ihre Handlung denkt, beobachtet man die Figur, als ob es ihr Leben bereits gäbe, und zwingt sie nicht zu einer bestimmten Form oder Entwicklung. Das mag jetzt enttäuschend esoterisch klingen, funktioniert jedoch tadellos.
     
    Sprechendes Detail
     
    Bleibt die Frage, wie man die Figur dem Leser präsentiert. Viele Texte, gerade aus dem Bereich der Unterhaltungsliteratur, fangen damit an, dass dem Leser komplett mitgeteilt wird, wie der Protagonist aussieht. Eventuell kommt er oder sie dafür extra an einem Spiegel
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