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Mord auf dem Golfplatz

Mord auf dem Golfplatz

Titel: Mord auf dem Golfplatz
Autoren: Agatha Christie
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Eine Reisegefährtin
     
    I ch glaube, es gibt eine bekannte Anekdote über einen jungen Schriftsteller, der sich vornahm, eine Geschichte so überzeugend und originell zu beginnen, dass sie sogar bei einem überaus blasierten Verlagslektor noch Spannung und Neugier wecken würde. Und deshalb brachte er folgenden Satz zu Papier:
     
    »Zum Teufel«, sagte die Herzogin.
     
    Seltsamerweise beginnt meine Geschichte auch so. Nur handelte es sich bei der Dame, die diesen Ausruf tätigte, nicht um eine Herzogin.
    Es war Anfang Juni. Ich war geschäftlich in Paris gewesen und wollte mit dem Morgenzug nach London zurückkehren, wo ich mit meinem alten Freund, dem belgischen Exdetektiv Hercule Poirot, in einer Wohnung lebte.
    Der Zug nach Calais war außergewöhnlich leer – in meinem Abteil saß nur ein weiterer Fahrgast. Ich hatte mein Hotel in ziemlicher Eile verlassen und wollte mich gerade davon überzeugen, dass ich wirklich alle meine Siebensachen eingepackt hatte, als der Zug anfuhr. Bisher hatte ich kaum auf meine Reisegefährtin geachtet, aber nun wurde ich sehr energisch an ihre Anwesenheit erinnert. Sie sprang auf, zog das Fenster herunter, steckte den Kopf hinaus und zog ihn gleich darauf mit dem kurzen und überzeugenden Ausruf »Zum Teufel!« wieder ein.
    Ich bin eigentlich altmodisch. Eine Frau, so sehe ich das, sollte weiblich sein. Ich habe nichts übrig für die neurotische junge Frau von heute, die von früh bis spät auf den Beinen ist, wie ein Schlot qualmt und eine Sprache benutzt, die eine Fischverkäuferin aus Billingsgate erröten lassen würde.
    Ich schaute mit leichtem Stirnrunzeln in ein hübsches, freches Gesicht, über dem ein verwegenes Hütchen thronte. Die Ohren waren unter dichten schwarzen Locken verborgen. Ich schätzte mein Gegenüber auf kaum mehr als siebzehn, aber ihr Gesicht war dick gepudert, und ihre Lippen waren von einem unmöglichen Scharlachrot.
    Sie hielt meinem Blick unangefochten stand und schnitt eine viel sagende Grimasse.
    »Meine Güte, nun haben wir den netten Herrn schockiert«, teilte sie einem imaginären Publikum mit. »Ich möchte mich für meine Ausdrucksweise entschuldigen. Gar nicht damenhaft und überhaupt, aber Himmel, ich habe wirklich Grund genug. Stellen Sie sich vor, ich habe meine einzige Schwester verloren!«
    »Wirklich?«, fragte ich höflich. »Wie unangenehm.«
    »Er ist unangenehm berührt«, stellte die Dame fest. »Er ist unangenehm berührt – von mir und von meiner Schwester, und Letzteres ist ungerecht, er kennt sie doch gar nicht.«
    Ich öffnete den Mund, aber sie kam mir zuvor.
    »Schweigen Sie! Niemand liebt mich! Ich werde in den Garten gehen und Würmer essen! Buhuuu, ich bin am Boden zerstört!«
    Sie versteckte sich hinter einer großformatigen französischen Comic-Zeitschrift. Ein oder zwei Minuten später sah ich, dass sie mich über den Zeitschriftenrand hinweg verstohlen musterte. Ich musste unweigerlich lächeln, und gleich darauf ließ sie ihre Zeitschrift sinken und brach in fröhliches Gelächter aus.
    »Ich wusste doch, dass Sie nicht so spießig sind, wie Sie aussehen«, rief sie.
    Ihr Lachen war so ansteckend, dass ich einfach einstimmen musste, auch wenn mir das Wort »spießig« nicht gerade zusagte.
    »Na also. Jetzt sind wir Freunde!«, verkündete die Range. »Sagen Sie, dass Ihnen das mit meiner Schwester Leid tut.«
    »Ich bin verzweifelt.«
    »Braver Junge!«
    »Lassen Sie mich ausreden. Ich wollte sagen, dass ich zwar verzweifelt bin, dass ich aber dennoch durchaus mit ihrer Abwesenheit leben kann.« Ich verbeugte mich kurz.
    Doch dieses wahrlich unberechenbare Geschöpf runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
    »Lassen Sie das. Mir ist die ›würdevolle Entrüstungs‹-Nummer lieber. Ach, wenn Sie Ihr Gesicht sehen könnten. ›Gehört nicht zu uns‹, hat es gesagt. Und da haben Sie ja auch Recht, obwohl, wissen Sie, das ist heute gar nicht so leicht zu sagen. Nicht jeder sieht den Unterschied zwischen einer aus der Demimonde und einer Herzogin. Oh, ich glaube, jetzt habe ich Sie schon wieder schockiert. Sie sind wirklich im Hinterwald ausgegraben worden, guter Mann. Aber das macht nichts. Wir könnten durchaus ein paar mehr von Ihrer Sorte gebrauchen. Unverschämte Männer kann ich nicht leiden. Die machen mich wütend!«
    Energisch schüttelte sie den Kopf.
    »Und wie sind Sie, wenn Sie wütend werden?«, fragte ich lächelnd.
    »Eine richtige kleine Teufelin! Dann ist es mir egal, was ich sage oder tue.
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