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El Camino Amable

El Camino Amable

Titel: El Camino Amable
Autoren: Marlies Curth
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Hamburg—Bilbao

    Ich bin gespannt.
    Es ist schon seltsam, um 6.15 Uhr die Haustür zu öffnen und loszugehen. Einfach den einen Schritt zu tun, der dann der erste auf dem Pilgerweg ist.
    Seit etwa fünf Jahren spiele ich mit dem Gedanken, den Jakobsweg zu gehen, der seit mehr als tausend Jahren die Pilger aus allen Teilen Europas nach Spanien zum Grab des heiligen Jakobus nach Santiago de Compostela führt. Wenn auch viele der alten europäischen Wege in Vergessenheit geraten sind, so ist doch der „Camino Francés“ (das sind die letzten 815 Kilometer des Weges in Spanien) in den letzten Jahren wieder vermehrt von vielen Pilgern gegangen worden. Dabei werden Menschen von den unterschiedlichsten Motiven dazu bewegt, die vielfältigen Strapazen eines wochenlangen Fußmarsches auf sich zu nehmen.
    Und nun bin also auch ich Pilgerin.

    Fühlt sich genauso an wie vorher — sogar an einem Freitag, dem Dreizehnten. Nur der Rucksack beschwert mich, 10 Kilo sind verflixt viel! Aber dafür bin ich für vier Wochen die Lasten des Alltags los und brauche an nichts anderes zu denken als ans Gehen, Essen und Quartiersuchen.

    Ich bin gespannt.
    Mit dem Flug klappt alles wunderbar. In Bilbao ist es allerdings deutlich kühler, als ich erwartet hatte; gut, dass ich den Fleecepullover mitgenommen habe. Ich hole meinen Rucksack vom Gepäcklaufband und stelle mich an die Haltestelle zum Bus ins Zentrum. Nach drei Minuten habe ich mit einem jungen Mann aus New York einige Sätze gewechselt und zwei Minuten später stellt sich ein anderer aus Australien dazu. Er kommt auch gerade aus Deutschland. Wir vergleichen unsere Flugdaten, reden ein bisschen und er erzählt, dass er als Au-pair in Bremen gearbeitet hat. Irgendwie scheint ein Rucksack auf dem Rücken das Zeichen für Kommunikationsfreudigkeit zu sein.
    Am Busterminal in der Innenstadt von Bilbao werde ich von einer Dänin angesprochen — sie hat auch einen Rucksack und fragt, ob ich eine Unterkunft wüsste, sie wolle nämlich auf den Camino de Santiago und hätte für die heutige Nacht in Bilbao noch keine Schlafmöglichkeit gefunden. Ich bin begeistert, dass es außer mir noch eine weitere Pilgerin in dieser Stadt gibt! Jetzt sind wir immerhin schon zwei auf dem Camino, das ist nicht zu voll, aber man ist auch nicht einsam. Ich bin mit dem Beginn meines Abenteuers erst einmal ganz zufrieden. Zuversichtlich mache ich mich mit einem Plan der Touristeninformation, der Pensions- und Hoteladressen enthält, auf den Weg in die Innenstadt von Bilbao. Da hier jedoch gerade Jugendweltfestspiele in diversen Sportarten stattfinden, ist jede Pension ausgebucht. Unverdrossen laufe ich mit meinem Rucksack von Unterkunft zu Unterkunft durch die Straßen. Immer wieder treffe ich die Dänin auf der Straße oder vor einer Pension, und vor jedem Schild mit der Aufschrift „Completo“ lächeln wir uns aufmunternd an — aber immer wieder heißt es „Fehlanzeige“.

    Nach mehr als zwei Stunden werde ich fündig. In einem einfachen Hotel mitten im Zentrum der Altstadt kriege ich den Zuschlag für das letzte freie Zimmer — es ist die Hochzeitssuite! Wow! Die freundliche alte Dame von der Rezeption zeigt sie mir. Es steht wirklich ein Bett darin, das ein klein wenig breiter ist als ein Einzelbett! Der Raum ist knapp zwei Meter hoch, ein winziges Fenster führt auf die Abfahrt zur Tiefgarage und die Hauptstraße muss mitten durch den Wandschrank führen, jedenfalls hört es sich so an. Und wahrscheinlich darf man hier auch nur heiraten, wenn man Kettenraucher ist. Es riecht dementsprechend. Selbstverständlich nehme ich das Zimmer. Die alte Dame strahlt. Ich strahle. Erleichtert stelle ich den schweren Rucksack in eine Ecke, dann gehe ich auf einen Bummel durch die Altstadt. Es gibt Häuser mit wunderschönen Fassaden und Steinornamenten, die wie geschnitzt aussehen, schwindsüchtige Geranien hinter schmiedeeisernen Balkongittern - morbider Charme. Ich setze mich in eine schöne helle Kirche, um Danke schön zu sagen, und komme langsam auf dem Pilgerweg an.
    Nach einer Weile suche ich ein Restaurant, das auch draußen Sitzplätze anbietet, was aber gar nicht so einfach ist. Vielleicht ist es für spanische Verhältnisse noch zu früh zum Abendessen, mir hängt allerdings der Magen inzwischen in den Kniekehlen.
    Ich muss zugeben, ein wenig hoffe ich auch, die Dänin wiederzutreffen. Ich bin stolz auf meine erfolgreiche Zimmerjagd und würde gern ein wenig klönen. Sie kommt aber nicht vorbei,
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