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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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Leute fingen an zu flennen oder riefen sich irgendwelche Abmachungen zu. Sinnlose, menschliche Aktivitäten. Dann sind sie der Reihe nach abgehauen.
    Ein paar Minuten später waren nur noch eine Handvoll Menschen im Saal. Sarah bewegte sich während der ganzen Szene nicht von der Stelle. Ich anscheinend auch nicht. Sie hat auch nicht aufgehört zu lächeln. Und dann, irgendwie, hat sie mich aufgetankt. Ich war so leer, ich war so scheißleer und kalt. Und mit einem Schlag war alles umgedreht, die ganze Welt auf den Kopf gestellt. Sarah war der Typ auf der Bühne, und ich bin unten gestanden. Sie hat den Rhythmus vorgegeben und mich über mein Leben hinausgehoben. Sie hat mich mit ihrem banalen Kinderlächeln aufgefüllt. Mit Blut und Wasser. Das Blut schoss in meinen Kopf, das Wasser in meine Augen. Wir sind einfach so stehengeblieben. Und ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn Bob nicht plötzlich gesagt hätte: »Spiel noch irgendwas, Cornelius. Irgendwas. Und der Rest des Abends geht aufs Haus!«
    Was soll ich sagen, ich habe das Notebook wieder hingelegt, die Gitarre genommen und aufgedreht, bin zum Mikro gegangen und habe, ohne wirklich zu wissen, was ich da tue, folgendes gesungen:
    »Cornelius Fink, he had a coat.
He wore a coat, oh yeah.
He was so happy wearing his coat.
He had a coat, oh yeah!
    Cornelius Fink, he had a coat.
He wore a coat, oh yeah.
He was so happy wearing his coat.
He had a coat, oh yeah!«
    Immer im Kreis wie ein idiotisches Kinderlied. Und beim vierten oder fünften Mal hat Bob sogar mitgesungen. Und die anderen vielleicht auch, ich weiß es nicht genau. Aber ich weiß jetzt, was dieser Mantel bedeutet. Ich habe es genau dort und an dieser Stelle kapiert. Ich habe nach unten gesehen und meinen Kreis erkannt. All diejenigen, die ich eben noch zum Teufel schicken wollte, sind hier geblieben. Bob und Johanna, die beiden Bäcker, sogar Opa und Oma waren da. Und die Tussi vom Jugendamt. Snakes Instrumente. Und Andrea. Und Vincent. Und sogar der alte Hermann mit seinen Töchtern im Ohr. Und natürlich Sarah.
    Ihr wisst ja, es heißt, manche, wenn nicht überhaupt alle Geschichten beginnen mit einem Ende.
    Jedenfalls ist Sarahs Lächeln im Verlauf des Songs zu einem Lachen geworden, und wäre ich so was wie ein intellektueller, schöngeistiger, meine Arschbacken zusammenkneifender Künstler, der im Bestsellerregal steht und Auszeichnungen entgegennimmt, würde ich meine Geschichte
Sarahs Lächeln
oder so nennen, aber he, bin ich ein Idiot? Und nur, falls ihr euch das fragt: Nein, ich hab mir nicht in die Hosen gemacht.

17. IDIOTEN
    In dieser idiotischen Welt ist alles möglich.
    »Danke, Cornelius!«, sagt Sarah übertrieben, wie eine Schauspielerin.
    »Wofür?«
    »Na, dass wir hier in der Pizzeria sitzen. Nur du und ich. Ich meine, versteh mich nicht falsch, ich mag die Kinder, aber manchmal wünsche ich mich zurück in die Zeit, als wir noch allein waren.«
    »Lieber nicht.«
    »Nein, so hab ich das nicht gemeint.«
    »Weiß ich doch. Und ich versteh dich natürlich, aber soll ich dir was sagen? Ich mag unsere verrückte Situation.«
    »Ich weiß. Ich auch.«
    Der Kellner bringt die Pizza. Wir teilen uns eine, weil sie hier so unglaublich riesig sind. Sarahs Hälfte Margherita und meine Provinciale. Sarah stürzt sich darauf, als ob sie eine Woche nichts gegessen hätte.
    »Jetzt sag schon, Cornelius, was musst du mir sagen?«
    »Ich will dir was geben.«
    »Ja. Und was?«
    Ich greife in meine Tasche und ziehe Vincents Zeichnung heraus. Sie sieht leider ziemlich mitgenommen aus, weil ich auf die Rückseite meinen Text von
Zeit der Idioten
geschrieben habe und sie die ganze Zeit über in meiner Hosentasche gesteckt ist.
    »Wow, das ist ja die Mama!«
    »Ja, und weißt du, wer das gezeichnet hat?«
    »Keine Ahnung.«
    »Vincent.«
    »Echt?«
    »Ja. Und er will, dass ich dir etwas sage. Er hat sie in der Nacht gezeichnet, in der sie, also, weißt du, sie haben tatsächlich nur
ein
Mal …«
    »Gebumst?«
    »Ja. In der Nacht, als sie dich gemacht haben, verstehst du? Und er will, dass du weißt, dass sie sich in dieser einen Nacht wirklich geliebt haben.«
    Wenn ich ehrlich bin, habe ich Vincents Wunsch bis jetzt nicht wirklich ernst genommen, aber ihr solltet Sarah jetzt sehen. Dieser Satz lässt ihre Augen auf eine seltsame Art und Weise übergehen. Dieser Satz bringt etwas zum Vorschein, das ich noch nie an ihr bemerkt habe. Etwas ganz Neues. Sie ist kein Kind mehr. Okay, sie ist erst
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