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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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worden. Wo ich hinwolle, fragt er mich dann. Zu meinen Eltern, sage ich. Ich mache mir Sorgen um sie. Er lässt mich weitergehen. Ich verlasse die U-Bahnstation.
    Es ist schlimmer geworden, seit ich nach Bölling gezogen bin. Der Schwedenplatz ist so gut wie menschenleer. Ein paar Jugendliche haben sich versammelt, um zu demonstrieren.
Wir haben keine Angst!
behauptet ihr handgeschriebenes Transparent, das sie aber eher vorsichtig, fast schon teilnahmslos und nicht sehr überzeugt in Händen halten. Normalerweise tummeln sich hier die Massen. Der Schwedenplatz liegt am Donaukanal, das ist die Grenze zwischen dem ersten und zweiten Bezirk. Hier bekommt man das beste Eis in ganz Wien, aber das Geschäftslokal ist verriegelt. An der Tür hängt ein Schild mit den Worten:
Liebe Kunden. Leider erfordern die Umstände eine vorübergehende Schließung. Wir hoffen, Sie bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen
.
    Unten am Kanal eröffnen um diese Jahreszeit immer Strandbars und Sommerlokale, aber jetzt ist davon nichts zu sehen. Ein Polizeiboot fährt langsam auf und ab. Vor dem
Billa
steht eine Menschentraube. Ich gehe hin und frage, was los ist. Ein Mann erklärt mir, seitdem die Leute angefangen hätten, Geschäfte zu plündern, haben in jedem Bezirk nur ein paar ausgesuchte Supermärkte geöffnet, und jeder, der darin einkaufen will, wird durchsucht. Zwei Soldaten bewachen den Eingang. Der Mann trägt ein hellblaues Hemd mit einem rot-weiß-roten
WW
auf der linken Brust. Ich spreche ihn darauf an, er gibt mir einen Zettel und sagt, er sei Mitglied der privaten Bürgerwehrorganisation
Wir Wiener
, die sich eigenhändig um Sicherheit und Ordnung im Bezirk kümmert. Die Exekutive sei ja völlig überfordert, meint er. Ich werfe den Zettel weg und gehe weiter. Ich muss den Kanal überqueren.
    Die Taborstraße, der Eingang in den zweiten Bezirk, sieht fast schon verwahrlost aus. Hier, ungefähr zweihundert Meter weiter vorne explodierte die Bombe der Rechtsradikalen. Das Haus ist keines mehr. Eine riesige Baustelle, die sich bis auf die Straße ausbreitet, ist davon übrig geblieben. Es stehen auch mehrere Menschen herum, Beamte, Schaulustige oder Journalisten. Gleich schräg gegenüber steht die Kirche St. Josef und noch weiter vorne ist die Castellezgasse; dort ist die jüdische Schule, in der der Anschlag vereitelt wurde. Dieses Szenario gäbe tatsächlich eine hervorragende Filmkulisse ab. Snake würde sich hier wie sein Held Plissken fühlen, das Bild gleicht fast schon dem fiktiven Manhattan aus
Die Klapperschlange
. Mein Kopf dröhnt, dennoch sehe und denke ich glasklar. Das Leben ist doch ein Film.
    Ich betrete das Filmset. Wieder fragt mich ein Polizist nach meinen Absichten und meinem Ziel. Er lässt mich durch. Die Statisten hier werden sicher schlecht bezahlt, aber wie ich schon einmal sagte, das hier ist Wien und nicht New York. Sie stehen nur herum, schütteln ihre Köpfe und faseln irgendwas von Mangel an Anstand und Menschlichkeit. Ihre Kostüme zeugen von schlechtem oder nicht vorhandenem Konzept, wahrscheinlich ist das gesamte Budget für die Kulisse draufgegangen. Ich glaube, die haben das Haus nach dem Anschlag einfach niedergerissen, um Eindruck zu schinden. Die Baustelle ist irgendwie viel zu groß. Bauherren oder Architekten in schwarzen Anzügen mit gelben Helmen klettern auf dem Schutt herum und brüllen in ihre Handys. Die sind gut besetzt. Und überall und immer wieder Polizei und Militär. Zur allgemeinen Sicherheit.
Die Klapperschlange
hat Recht, der ganze Westen ist ein einziger Polizei- und Obrigkeitsstaat, getarnt als schlaffes Paradies. Ich durchschreite diese Menschenmenge. Die Leute weichen mir aus. Ich muss in die Haidgasse, die ist ein paar hundert Meter geradeaus und dann links.
    Die Taborstraße ist früher einmal eine wunderschöne Straße gewesen. Fiaker sind gefahren, später hat es sich dann ausgezahlt, mit voller Geldbörse hierher zu kommen, die allerersten Adressen. Heute ist sie nur eine weitere von den Hunden angeschissene Straße, die Fiaker scheinen den Donaukanal nur ungern zu überqueren, ein unseliger, krimineller Ruf eilt dem zweiten Bezirk, der Leopoldstadt, voraus. Aber das macht natürlich den Charme dieser Gegend aus. Taborstraße bis zur Heine, dann besser rechts, oder wieder links, ist egal. Aber so wird das nichts. Der Regisseur ist ein Dilettant. Ein Idiot. Die Geschichte sprießt hier nur so aus dem Beton, er bräuchte nur zu gießen, aber er hat keine Ahnung. Das
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