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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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zwölf, aber ich sage euch, dieser Satz hat sie reifen lassen. Die Tränen, die dieser Satz provoziert, sind die Tränen der Trauer um ihre Mutter, die sie nie geweint hat. Dieser Satz hat ihre Kindheit weggespült, versteht ihr? So, als ob es das Einfachste auf der Welt wäre, Jessasmarandjosef! Ich wünschte,
ich
hätte so einen Satz. Ich wünschte, jemand würde mir mit einem einzigen Satz alles wegspülen, was mich gefangen und festhält.
    »Und Sarah, halt dich an, ich muss dir noch was erzählen …«
    Auch ich habe Fortschritte gemacht. Ich bin nicht mehr ausschließlich in mir selbst gefangen. Und es haben sich ein paar Dinge ergeben, von denen ich euch noch ganz schnell erzählen muss. Keine Angst, ich fasse mich kurz, denn wenn ihr keine Kinder habt, interessiert euch das bestimmt nicht, aber, was soll ich sagen, ich werde
Vater
. Ja, richtig gehört. Andrea ist schwanger. Sie ist zwar schon neunundvierzig, aber scheiß drauf, wir wagen es trotzdem. Ist das nicht idiotisch? Ich meine, wir haben ja erst fünf Kinder, oder?
    Wir wohnen alle in meinem Haus. Manfred hat mir geholfen, es zu renovieren. Selbst Vincent hat ein paar Mal Hand angelegt. Sarah hat sich entschlossen, auf keinen Fall Papa zu ihm zu sagen, was mich sehr freut. Er kommt manchmal und geht dann mit ihr ins Kino oder setzt sich einfach zu uns. Ohne Verpflichtungen, ganz ungezwungen. Das funktioniert ganz gut. Hin und wieder kommt meine Mutter zu Besuch. Ihr gefällt es, wenn Kinder um sie herum sind. Dass sie Großmutter wird, will sie nicht glauben, weil ich immer noch keinen richtigen Job habe. Rein theoretisch spricht mein Vater wieder mit mir.
    Ich verdiene auch immer noch kein Geld, also nicht wirklich. Ich helfe zweimal in der Woche im Fiesta aus und dreimal in der Woche fahre ich mit dem alten Ford Transit vom Vogelauer durch ein paar Ortschaften und verkaufe sein Zeug. Brot, Gebäck, Mehlspeisen und Milchprodukte. Es ist gutes Zeug. Er ist ein sehr guter Bäcker und ich glaube, ich habe in der Zwischenzeit sieben oder acht Kilo zugelegt. Was soll’s. Ich darf das eigentlich nicht, aber manchmal fahre ich zum Happy Shopping Center, stelle mich direkt vor den Eingang, denke an Major Labels und biete stolz und offensiv meine Waren an. Und ob ihr’s glaubt oder nicht, manche wissen Qualität zu schätzen, selbst dann, wenn ein zahnloser Freak ihnen was anbietet. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, ihr wisst schon.
    Ich habe eine Single aufgenommen:
Zeit der Idioten
. Bob hat ein Label gegründet (
SOB Records
, das steht für
Snake of Bölling
), und wenn ich jetzt bei ihm arbeite, arbeitet er für mich. Ich sag’s ehrlich, ich glaube keinen Moment daran, dass daraus mehr werden wird als Gigs im Fiesta und hin und wieder eine Aufnahme. Aber erstens geht’s hier nicht um Zwerge in Leberpastete, und zweitens – wer weiß? Der Glaube versetzt vielleicht Berge, er verschafft dir aber keinen Plattenvertrag. Doch in dieser idiotischen Welt ist alles möglich, und wenn ihr die Single irgendwo seht, würde ich mich freuen, wenn ihr sie euch kauft, sie kostet höchstens fünf Euro. Sie ist gut, wirklich gut. Kein Fake, sondern echte Kunst. Ihr könnt sie euch aber auch kopieren, das ist mir egal.
    Snake wurde direkt neben dem Gstettner Franz begraben. Bob und ich haben wochenlang mit seinem Onkel, dem Fleischhauer Firngruber, mit dem Bürgermeister und dem Pfarrer gestritten. Die haben sich mit Händen und Füßen gewehrt, wie ihr euch vorstellen könnt, aber wir haben es geschafft. Wir haben uns durchgesetzt, dass
Snake of Bölling
auf seinem Grabstein steht. Sein bürgerlicher Name, Johann Firngruber, ist nur das Kleingedruckte, und wen interessiert schon das Kleingedruckte?
    Na gut, mich hätte es interessieren sollen. Ich habe mein magisches Notebook der Firma
Bummm! Partyservice und Eventcatering
zurückgegeben. Ich hätte Glück gehabt, dass das Ding bei diesen Vibrationen und Frequenzen nicht von selbst hochgegangen ist, hat Herr Huber gemeint, dieser Arsch. Ich habe ihm noch gesagt, dass ich seine Aktivitäten für letztrangig halte, dass er mit seiner Bauernfängerei meiner Meinung nach auf einer Ebene mit irgendwelchen blöden Sekten steht, und ich ihm wünsche, dass er selbst einmal durch so ein Scheißding draufgehen wird. Was soll’s, ich habe keine Angst mehr. Ich habe geschworen, zu schweigen wie ein Grab. Nichts anderes bleibt mir auch übrig, es sei denn, ich interessiere mich für die finale Überraschung.
    Außerdem
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