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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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ich krieg’s hin:
    »Der Böllinger selbst kann kein Held sein, deshalb braucht er einen. Er weiß, dass ein Held Dinge tut, die es wert sind, getan zu werden, selbst wenn es ihn das Leben kostet. Aber der Böllinger bleibt lieber ein Böllinger, anstatt ein Held zu werden. Dass auch ich ein Böllinger bin, ist eigentlich eine Frechheit. Und wahrscheinlich werden sie mein Haus zum Museum ummodeln und touristisch nutzen, wenn ich einmal das Zeitliche segnen sollte. Und wenn du wie ich in Bölling geblieben bist, freust du dich sogar schon drauf. Ja, tragisch, wirst du vielleicht sagen, oder blöd, aber so ist das nun einmal in Bölling.«
    Ich wünschte, er hätte diese Scheißbombe gebaut. Ich wünschte, er hätte uns alle morgen bei dem blöden Gig in die Luft gejagt. Und alle, alle hätte ich sie persönlich dazu eingeladen! Meinen Vater, meine Mutter, Opa und Oma, die Frau Schreiber vom Jugendamt, den Bäcker Vogelauer mitsamt seinem debilen Gesellen, Bob, Johanna und den Fleischhauer Firngruber. Und die Andrea. Und die Polizisten und die Journalisten und all die Gaffer vor seinem Haus. Alle.
    Alle außer Sarah, um genau zu sein. Sarah ist der einzige Mensch, der noch so etwas wie Unschuld für mich repräsentiert. Wenn ich an sie denke, geniere ich mich für mein ganzes Leben. Wenn ich Sarah denke, bin einzig und allein ich der Idiot hier. Sie ist wie ein Magnet, der mich in die Normalität ziehen will, in die vermeintliche Ruhe und Sicherheit der Gesellschaft. Dort bin ich dann der Bäcker, der Krapfen ohne Marmelade verkauft und den die Leute dafür lieben. Oder der örtliche Musiklehrer, der den Kindern coole Hits von Green Day und Christina Stürmer beibringt, und den die Kleinen der affektierten Blockflötenlehrerin mit zusammengekniffenem Arsch vorziehen. Dort ist meine Musik nicht mehr als ein Hobby für mich, dem ich mich an den Wochenenden widme, oder eine Möglichkeit, Freunden ein Geburtstagsständchen oder ein Lied zu ihrer Hochzeit zu schreiben. Dort spare ich mein hart verdientes Geld, kaufe Flachbildfernseher und ein Auto, baue unser Haus aus oder fahre mit Sarah auf Urlaub nach Griechenland – vielleicht nehmen wir sogar ihren Freund mit, der in Wahrheit ein netter, anständiger Junge mit vielversprechender Zukunft ist.
    Ich habe dort keine juvenilen, blödsinnigen Träume und greife nicht nach den Sternen. Nein, dort bin ich erwachsen. Ich bin der Vater, der auf jede Frage eine Antwort hat. Der Mann, dem jedes Problem nur Herausforderung ist. Ich engagiere mich im Elternverein der Schule und in der Pfarre. Ich habe eine nette Therapeutin, die mir hilft, mein Trauma aufzuarbeiten – und wer weiß, in die ich mich sogar verlieben könnte, wo sie doch so hübsch ist, ein Jahr jünger als ich und enttäuscht von den Männern. Ach, wie glücklich würden wir alle sein!
    Aber Jessas, der Magnet ist nicht stark genug. Und das alles ist nicht mehr wert als
Die letzte Versuchung Christi
, auch von diesem Kazantzakis geschrieben, wahrscheinlich habt ihr den Film gesehen. Dem Herrn Jesus ist da, wie er so auf dem Kreuz hängt, noch schnell eingefallen, was er alles hätte erleben können, wenn er das Leben ein bisschen leichter genommen hätte: er hat auch diesen Magneten gespürt. Aber er ist draufgekommen, dass nichts, rein gar nichts an diesem blöden Kreuz vorbeiführt. Nicht, dass ich mich mit dem Gekreuzigten vergleichen will, aber sogar sein Magnet ist nicht stark genug gewesen, versteht ihr? Und er ist immerhin der Herr gewesen, Jessas. Der Jessas! Und die Sarah, die das alles für mich bedeutet und von der diese Kraft ausgeht, gibt’s vielleicht gar nicht mehr. Und ihr Vater – keine Ahnung, den ignoriere ich jetzt einfach, denn ich bin ihr beschissener Vater, versteht ihr? Ich ich ich!
    Wisst ihr noch, wie wir uns kennengelernt haben, als ich in der U-Bahnstation gesessen bin und Schluss machen wollte? Dort habe ich dann noch einen Brief geschrieben, einen pathetischen, sinnlosen Brief an Sarah. Ich trage ihn immer bei mir. Soll ich ihn euch vorlesen? Na gut, aber dann ist Schluss, dann muss ich los.
    Liebe Sarah!
    Ich möchte, dass du weißt, dass dir immer eine Kraftquelle zur Verfügung stehen wird. Du kannst und sollst eigentlich nichts von ihr wissen, aber sie gehört zu dir wie die Sauerstoffflasche eines Tauchers. In dieser imaginären Flasche ist das Gute gefangen, und sein Maß ist unbegrenzt. Sie wird dir immer dienen und mit der Zeit wirst du dich daran gewöhnen, dass alles Leid,
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