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Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)

Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)

Titel: Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
Autoren: Lynsay Sands
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1
    London, England, 1818
    »›Die Liebe ist ein Fieber … in meinem Blut.‹«
    Igittigitt. Clarissa drehte sich der Magen um, als diese Worte schwülstig im Raum schwebten. Es war mit Abstand das gruseligste Gedicht, das Lord Prudhomme seit seiner Ankunft im Stadthaus ihres Vaters heraustrompetet hatte.
    War er wirklich erst eine Stunde da? Ihr kam es wie eine gefühlte Ewigkeit vor. Und statt mit ihr den üblichen kleinen Spaziergang zu machen, hatte der nicht mehr ganz taufrische Lord einen Gedichtband durch die Luft geschwenkt und Clarissa gönnerhaft vorgeschlagen, er könne ihr doch zur Abwechslung etwas Schönes vorlesen. Im Prinzip hatte sie ja gar nichts dagegen, wenn er ihr nur etwas Unterhaltsames geboten hätte und nicht diese grässlichen Schmachtfetzen. Und ganz nebenbei hätte sie es sehr begrüßt, wenn er dabei nicht so tun würde, als erwiese er ihr einen Riesengefallen.
    Clarissa ließ sich nichts vormachen. Ihr war klar, woher der Wind wehte. Der Lord hoffte, größere Katastrophen zu verhindern, indem er sie dekorativ aufs Sofa verbannte, während er ihr geballte Scheußlichkeiten aus seinem angestaubten Gedichtband vorlas. Offensichtlich hatte der ältliche, steife Prudhomme es satt, dass ihr dauernd irgendwelche Missgeschicke passierten.
    Sie konnte ihm das nicht wirklich zum Vorwurf machen; er hatte sich bisher immer vorbildlich verhalten. Um ehrlich zu sein, wie ein Heiliger. Er hatte deutlich mehr Verständnis und Rücksichtnahme gezeigt als ihre anderen Verehrer. Mit einem milden Lächeln ging er großzügig darüber hinweg, wenn sie seine kurzen strammen Schenkel zuweilen für ein Tischchen hielt und ihre Teetasse darauf abstellte. Er biss gequält die Zähne zusammen und schwieg taktvoll, wenn sie ihm beim Tanzen vors Schienbein trat oder bei gemeinsamen Spaziergängen über seine Füße stolperte. Heute aber hatte er sich wohl fest vorgenommen, von alledem verschont zu bleiben. Leider Gottes ließ die Lektüre erheblich zu wünschen übrig, und Clarissa langweilte sich halb zu Tode. Lieber wäre sie im Park blindlings über die erstbeste Picknickdecke gestolpert und der Länge nach in die Torte, sann sie dumpf.
    » › Sie verleiht mir Flügel wie die einer Taube.‹« Lord Prudhommes Stimme bebte … ob vor Pathos oder vor Altersschwäche, das vermochte die junge Frau nicht zu sagen. Der Mann war schätzungsweise alt genug, um ihr Großvater zu sein. Dummerweise war das für ihre Stiefmutter völlig nebensächlich. Lydia hatte John Crambray hoch und heilig versprochen, dass seine Tochter eine gute Partie machen werde. Dafür würde sie sorgen, und wenn sie dabei einen Herzinfarkt erlitt, hatte sie getönt. Mittlerweile war Lord Prudhomme allerdings der Letzte, der von Clarissas spärlichen Verehrern noch übrig geblieben war. Er machte ihr hartnäckig weiter den Hof, wodurch sich das Herzinfarktrisiko ihrer Stiefmutter vorläufig in Grenzen hielt. Allerdings bekam Clarissa Gänsehaut bei der Vorstellung, diesen Dumpfbeutel heiraten zu müssen, der sich nun ungelenk auf den Boden kniete, wild mit den Armen ruderte und ihr dabei ewige Liebe versprach.
    »›Ich schwöre meiner‹ … ähm … ›meiner‹ Lady Clarissa …«, Lord Prudhomme stockte mitten in seinem Gefasel. »Bitte, meine Liebe, rücken Sie doch die Kerze ein wenig näher heran. Ich kann das Wort nicht richtig lesen.«
    Clarissa kniff die Augen zusammen und spähte in die Richtung des widerlichen Ehekandidaten. Sie nahm Prudhomme bloß als Schatten wahr, eine dunkle Kugel mit einem runden roten Klecks als Gesicht, umrahmt von einer bauschig silberweißen Wolke … das mussten seine Haare sein.
    »Die Kerze, Mädchen«, sagte er ungeduldig, und der charmante Galan war mit einem Mal wie weggewischt.
    Clarissa peilte die Kerze an, die neben ihr auf dem Tisch stand, griff mit tastenden Fingern danach und hielt sie ihm gehorsam näher hin.
    »So ist es erheblich besser.« Der Lord nickte zufrieden. »Also, wo war ich noch gleich? Ah ja. ›Ich schwöre meine ewige …‹« Er stockte abermals, und seine Nasenflügel blähten sich wie die Nüstern eines Ackergauls. »Finden Sie nicht, dass es hier verbrannt riecht?«
    Clarissa reckte ihr Näschen in die Luft und schnupperte. Bevor sie jedoch den Mund öffnen und seine Vermutung bestätigen konnte, entfuhr seiner Lordschaft ein gellender Schrei.
    Sie fuhr erschrocken zusammen und beobachtete fasziniert, wie der massige Kugelschatten wild durchs Zimmer trudelte. Hektisch mit
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