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Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)

Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)

Titel: Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
Autoren: Lynsay Sands
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ihre Brille extrem kurzsichtig und unbeholfen war, hatte ihre Stiefmutter beschlossen, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie entschied, dass das Mädchen in Gegenwart anderer nur noch brav und untätig herumsitzen solle. Sie durfte weder Kerzen noch Teller oder Tassen anfassen – kurzum, gar nichts mehr. Sie durfte nicht mehr in Gesellschaft essen, sondern musste stets beteuern, dass sie keinen Hunger hätte, auch wenn das gar nicht stimmte. Für Getränke in der Öffentlichkeit galt das Gleiche. Spaziergänge wurden allenfalls in Begleitung einer Zofe gebilligt.
    Clarissa war ihr mehrmals mit dem Argument ins Wort gefallen: »Aber wenn du erlauben würdest, dass ich meine Brille trage …«
    Worauf Lydia mit einem grimmigen »Niemals!« geantwortet und ihre lange Litanei dessen fortgesetzt hatte, was Clarissa künftig alles untersagt war.
    Als sie mit ihrem Vortrag geendet hatte, war Clarissa überzeugt, dass sie in Gegenwart anderer bloß noch dumm herumsitzen und Däumchen drehen durfte und dazu auch noch ein schönes Gesicht machen sollte … Blinzeln und Kniffeln war nicht mehr drin, weil absolut unschicklich und Ehekandidaten abschreckend.
    Clarissa nahm den Blick von den verschwommenen Schatten auf der Tanzfläche und starrte trübsinnig auf die Konturen ihrer Hände, die sich schemenhaft blassrosa auf ihrem mimosengelben Batistrock abzeichneten. Sie wünschte sich nicht zum ersten Mal, ihr Vater hätte sie auf dieser Reise begleitet. Wäre Lord Crambray hier, dürfte sie ihre Brille tragen und könnte den Abend bestimmt viel mehr genießen. Leider war er auf ihrem Landgut unabkömmlich gewesen. Das hatte er zumindest behauptet, aber vielleicht war es auch bloß ein Vorwand, denn ihr Vater konnte dem Stadtleben nicht viel abgewinnen. Clarissa hätte es nicht zu sagen vermocht. Sie vermisste ihn und kam vor Langeweile halb um.
    »Darf ich um diesen Tanz bitten?« Als Clarissa die höfliche Aufforderung hörte, blickte sie nicht mal auf. Wozu auch? Sie hätte ja doch nicht viel sehen können. Stattdessen wartete sie unglücklich, ob ihre Stiefmutter ihm antwortete, heimlich verwundert, wer der Fremde war. Wusste dieser Gentleman etwa nicht um die Anekdoten, die über ihre Ungeschicklichkeit kursierten? Nein, die Aufforderung galt bestimmt Lydia, oder?
    Als sie merkte, dass ihre Stiefmutter weder höflich ablehnte, indem sie Müdigkeit vorschob, noch eine andere Entschuldigung vorbrachte, riskierte Clarissa einen kurzen Seitenblick. Und stellte fest, dass Lydias weichgezeichnete Pastell-Silhouette verschwunden war. Als sich unvermittelt ein schwarz verschattetes Etwas auf deren Stuhl niederließ, fuhr Clarissa erschrocken zusammen.
    Sie kniff die Augen zusammen und blinzelte angestrengt, aber die auffällig lilafarbene Rüschenwolke blieb verschwunden.
    »Ich glaube, die Dame, die eben hier saß, ist zum Büfett gegangen.« Die tiefe Stimme war so nah an ihrem Ohr, dass Clarissa den Atem des Mannes warm auf ihrer Haut fühlte. Unwillkürlich erschauernd richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Gentleman an ihrer Seite. Er hatte eine schöne, tiefe, wohlklingende Stimme, fand sie, und er schien ihr sehr groß. Wieder einmal wünschte sie sich, sie hätte ihre Brille, um besser sehen zu können. »Hat sie Ihnen nicht Bescheid gesagt?«, erkundigte er sich. »Ich dachte, sie hätte Ihnen das mitgeteilt, bevor sie ging.«
    Clarissa errötete leicht und ließ ihren Blick hastig wieder zu den Tanzpaaren schweifen. »Kann sein«, räumte sie ein. »Ich fürchte, ich war abgelenkt und hab nicht richtig zugehört.«
    Lydia hatte ihr irgendetwas zugemurmelt, aber Clarissa, tief versunken in ihre depressive Stimmung, hatte es nicht gekümmert. Es war demütigend, hier herumzusitzen und mitzubekommen, was die Leute heimlich über sie tuschelten. Ihre Unbeholfenheit war offenbar das Gesprächsthema Nummer eins der diesjährigen Ballsaison.
    Es hatte ihr den Spitznamen Chaos-Clarissa eingebrockt, und alle warteten bestimmt gespannt darauf, was sie als Nächstes anstellen würde.
    »Es heißt, Sie seien blind wie ein Maulwurf und zu eitel, um eine Brille zu tragen«, meinte die Stimme neben ihr.
    Angesichts seiner Unverfrorenheit fielen ihr fast die Augen aus dem Kopf. Sofort räusperte er sich milde betroffen, als wäre ihm verspätet klar geworden, was er da von sich gab. Ein kurzer Seitenblick dokumentierte ihr verschwommen, dass er impulsiv eine Hand hob, als wollte er sich den Mund zuhalten.
    »Verzeihen Sie, aber ich
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