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Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)

Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)

Titel: Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
Autoren: Lynsay Sands
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den Armen um sich rudernd, erweckte es den Anschein, als wollte der Lord sich selber ohrfeigen. Sie hatte keine Ahnung, was plötzlich in ihn gefahren war, bis er sich das buschige weiße Dings vom Kopf herunterriss und damit immer wieder gegen sein Bein schlug. Sie blinzelte von dem rosigen Ei, das wohl sein Kahlkopf war, zu seinen rudernden Armen, und begriff, dass sie die Kerze zu nah an sein Gesicht gehalten und dabei seine Perücke in Brand gesteckt hatte.
    »Ach du grüne Neune.« Clarissa stellte behutsam die Kerze auf den Tisch, ließ sie jedoch erst los, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Halter auch wirklich auf der Tischplatte stand. Um dem Ärmsten zu helfen, hechtete sie zu ihm, verschätzte sich jedoch in der Entfernung und hätte den stämmigen kleinen Lord um ein Haar über den Haufen gerannt.
    »Fort mit Ihnen, verschwinden Sie!«, gellte Prudhomme und schob sie unsanft von sich.
    Clarissa plumpste zurück in ihren Sessel und blinzelte milde verwirrt zu ihm hin.
    Dann schwenkte ihr Blick abrupt zur Tür, da sie Stimmen hörte. Anscheinend kam jemand zu Hilfe.
    Mehrere kamen zu Hilfe, schloss sie, als sie verschwommen eine bunt gewürfelte Truppe im Türrahmen wahrnahm. Offenbar war die gesamte Dienerschaft auf Prudhommes Gekreisch aufmerksam geworden und sofort angerückt. Zweifellos war ihre Stiefmutter auch dabei, mutmaßte Clarissa und seufzte beklommen, als alle schockiert schwiegen. Leider sah sie zu schlecht, um beurteilen zu können, ob man sie nachsichtig oder vorwurfsvoll musterte.
    Prudhommes Miene konnte sie sich indes bildhaft vorstellen. Er schäumte vor Zorn und machte seiner Verärgerung verbal Luft. Seine Worte überschlugen sich nachgerade vor Wut. Clarissa schnappte den einen oder anderen Satzfetzen auf; »ungeschickter Trampel«, »verdammtes Weibsstück« und »eine Gefahr für die Menschheit« war noch das Harmloseste.
    Mitten in seiner Schimpftirade sah sie schemenhaft, wie er den Arm hob und ausholte. Die junge Frau erstarrte vor lauter Entsetzen, dass er sie schlagen könnte. Sicher war sie sich indes nicht, weil sie keine Brille trug. Als seine Pranke nah genug vor ihrem Gesicht schwebte, dass sich Clarissas letzte Zweifel verloren, war es zu spät, sie hätte einer schallenden Ohrfeige nicht mehr ausweichen können.
    Zum Glück ging einer der Diener geistesgegenwärtig dazwischen und vereitelte den Schlag. Clarissa nahm verschwommen ein buntes Handgemenge wahr, hörte Prudhomme fluchen und Ffoulkes, ihren Butler, schnaufen. Dann verzogen sich die verwaschenen Silhouetten in Richtung Tür.
    »Ihr Verhalten ist unerhört! Schande über Sie, Lord Prudhomme!«, rief Clarissas Stiefmutter, ihre Stimme voller Abscheu, während sie den anderen folgte. An der Tür blieb der wogende Berg fliederfarbener Seide kurz stehen und meinte einlenkend: »Ich hoffe doch sehr, dass Sie Clarissa das kleine Missgeschick verzeihen können. Glauben Sie mir, sie hat die Kerze bestimmt nicht absichtlich an Ihre Perücke gehalten.«
    Clarissa verkroch sich unglücklich seufzend in ihrem Sessel. Unfassbar, aber ihre Stiefmutter schien weiter fest entschlossen, sie mit diesem Kotzbrocken zu verkuppeln. Grundgütiger, sie hatte seine Perücke angekokelt! Und er hatte versucht, sie zu schlagen! Ob ihre Stieftochter bei einem gewalttätigen Ehemann landete, kümmerte Lydia demnach herzlich wenig. Ihre Stiefmutter schreckte offensichtlich vor nichts zurück.
    »Clarissa?«
    Das junge Mädchen setzte sich abrupt auf und blinzelte ängstlich zu dem lilafarbenen Schattengespenst. Aha, Lydia war noch einmal zurückgekehrt. Die Tür knallte hinter ihr ins Schloss.
    »Wie konntest du nur!«
    »Ich hab’s doch nicht absichtlich gemacht, Lydia«, jammerte Clarissa. »Das Ganze wäre nicht passiert, wenn ich bloß meine Brille tragen dürfte, aber das möchtest du ja nicht. Ich wäre anmutiger und hätte bestimmt mehr Verehrer, wenn ich meine …«
    »Niemals«, schnitt Lydia ihr das Wort ab. »Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass Brillenschlangen keinen Mann abbekommen? Ich weiß, wovon ich spreche. Besser ein bisschen ungeschickt, als mit einem hässlichen Nasenfahrrad herumzulaufen.«
    »Ich hab seine Perücke angezündet«, rief Clarissa fassungslos. »Von wegen ein bisschen ungeschickt … das ist bestimmt keine Lappalie. Es hätte böse ausgehen können für ihn. Er hätte sich schlimme Verbrennungen zuziehen können.«
    »Stimmt, hat er aber gottlob nicht«, sagte Lydia bemerkenswert
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