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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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    Katja Kammer wollte die Sterne vom Himmel holen. Auf einem alten Foto stand sie nachts auf einer Straße und hob die Hände, als sei es leicht, sie zu fangen. Sie trug ein rotes Kleid, das schwarze Haar fiel ihr bis auf den Rücken, und sie lachte den sternenklaren Himmel an. Im Hintergrund konnte man die Kinder sehen, Dorian, wie er winkte, und Robin mit einem Teddy im Arm. Familienglück hatte die Zeitschrift über das Foto geschrieben, Katja Kammer und ihre kleinen Söhne. Es war Dorians Lieblingsbild, weil es so fröhlich war, doch Robin konnte es nicht leiden, denn ihm fehlte darauf das rechte Bein. Der Fotograf hätte merken müssen, hatte Robin immer gesagt, daß er auf diesem Bild gar nicht vollständig war, also überhaupt kein richtiger Mensch.
    Damals war der Fotograf der Freund ihrer Mutter, und sie lebten alle zusammen in einem Dorf mit Feldern, Wiesen und Bergen. Direkt vor ihrem Haus begann ein schmaler Weg, und wenn man da durchgekrochen war, stand man auf einem riesigen Feld. Das war, als liefe man durch einen Luftballon, während er aufgeblasen wurde, erst war alles eng und gedrängt, und dann wurde es groß und weit und rund. Man konnte rennen ohne Ende, konnte die ganze Welt besiegen, wenn man auf einer Bank stand und nur die Bäume und die Berge größer waren als man selbst. Seit jener Zeit hatte Dorian Kammer nie wieder die Berge gesehen.
    An das Gesicht des Fotografen konnte er sich nicht erinnern, wohl aber daran, daß er manchmal mit ihm Fußball spielte, während Katja mit Robin, der noch zu klein zum Kicken war, im Gras auf einer Decke lag. Doch die Leute im Dorf mochten sie nicht. Sie hatten keine Ahnung, daß Katja Kammer eine berühmte Sängerin war, oder sie wußten es und gingen ihr deshalb aus dem Weg. Immer knurrten die Hunde, wenn sie an fremden Höfen vorübergingen, die Leute hatten Schäferhunde, die alles bewachten, hängten Bilder von ihnen ans Hoftor und schrieben darunter, daß der Köter Halunken vertrieb und gefährlich war und in fünf Sekunden am Tor. Robin weinte immer, sobald er das dunkle, böse Knurren hörte, und Katja beschimpfte die Hunde und die Leute, denen sie gehörten.
    Fotos aus jener Zeit zeigten Katja Kammer in ziemlich kurzen Kleidern oder in halb zerrissenen Jeans, manchmal mit einem Weinglas und meistens mit einer Zigarette in der Hand. Sie fand es komisch, daß das Zentrum des Dorfes auf einem Schild Stadtmitte hieß und es kein Café, dafür aber drei Apotheken gab. Lange hatten sie nicht dort gelebt. Das letzte Bild war das Trümmerbild und zeigte ein ziemliches Durcheinander in ihrem Häuschen, überall standen Koffer und zusammengeschobene Möbel. Das hatte Katja selber aufgenommen, darum war es auch ziemlich verwackelt. Für Dorian war das Sternenbild überhaupt das schönste Foto von Katja Kammer, weil seine Mutter darauf die Sterne fing, ohne sich darum zu kümmern, ob es ging.
    Über die Sterne hatte sie auch ein Lied geschrieben, über zwei kleine Jungs, die einen Kopfkissenbezug aus dem Fenster halten, um alles, was am Himmel war, darin zu sammeln. Der Bezug wurde schwerer und schwerer, doch als sie ihn ans Ohr hielten, hörten sie die Sterne spannende Geschichten erzählen, von der Sonne und der Erde und vom Mond. Das Lied hieß Sandmännchen für Robin und Dorian, und es war das letzte Lied, das Katja Kammer auf einer Bühne gesungen hatte.
    Es war ein paar Wochen, nachdem sie aus dem Dorf zurückgekommen waren, der Fotograf war nicht mehr dabei. Der Saal war halb leer, denn viele Leute, die sie geliebt hatten, erinnerten sich nicht mehr an die Liebe. Jemand warf eine Coladose, als sie die ersten Zeilen des Sternenliedes sang, und weil es ein langsames Lied war, bei dem nur das Klavier sie begleitete, war das Geräusch auch so laut und häßlich, als die Coladose auf die Bühne flog. Doch niemand protestierte, viele lachten und klatschten, und Katja rief ins Publikum, daß Cola ein schlechter Einfall war, Bier wäre ihr lieber gewesen und der Arsch solle sich das merken; »wo bist du überhaupt«, hatte sie gerufen und die Augen mit einer Hand vor dem Scheinwerferlicht geschützt, »komm her, du Arsch, ich kann dich nicht sehen.« Er meldete sich aber nicht, und während der Saal zur Hölle wurde, mit diesem Höllengeräusch aus Gelächter und Pfiffen, Schimpfwörtern und Flüchen, hob Katja Kammer oben auf der Bühne den Mittelfinger und ging. Das war ihr letzter richtiger Auftritt gewesen und in der Zeitung hatte gestanden: Kammer
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