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Salzburger Totentanz

Salzburger Totentanz

Titel: Salzburger Totentanz
Autoren: Ines Eberl
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EINS
    Es war der 23. Juli, der heißeste Tag dieses Sommers, der als heißester Sommer seit Beginn der systematischen Wetteraufzeichnungen in die Statistik eingehen sollte. Um sieben Uhr früh brannte die Sonne bereits auf die weiten Rasenflächen des Hellbrunner Schlossparks. Die von Buchsbaumhecken gesäumten Blumenrabatten und die alten Laubbäume schienen die aufkommende Hitze mit derselben Gleichmut zu erwarten wie die skurrilen Steinfiguren, die in ihren dunklen Schatten schon seit Jahrhunderten ausharrten. Nur die anmutige Marmorstatue der Kaiserin Sisi leuchtete bereits weithin in der Morgensonne. Den Kopf für immer wie in Gedanken geneigt, hielt sie das Gesicht den Schlossteichen zugewandt.
    Kein Luftzug regte sich. Das steinerne weiße Kleid der Kaiserin bauschte sich in einem imaginären Windstoß, auf dessen Abkühlung die Bewohner der Stadt schon seit Wochen hofften. Die lanzenförmigen Schilfhalme an den Ufern der dunkelgrünen Teiche ragten regungslos und steif in die Höhe. Am Rand des größten Beckens hockte ein monströser Steinfrosch auf einem moosbewachsenen Sockel, und aus seinem breiten Maul plätscherte unablässig ein Strahl auf die jadefarbene Wasseroberfläche. In der stehenden Luft tanzte ein Mückenschwarm, und hin und wieder schnappte eine Forelle nach einem Insekt.
    In dem kleinen Becken daneben schwamm knapp unter der Oberfläche ein fetter Karpfen und zog mit seinem breiten Rücken Bahnen auf dem spiegelglatten Wasser. Er hatte den Schutz des schlammigen Grundes verlassen, war aus der Wärme seines Morasts aufgetaucht an die hell glitzernde Oberfläche. Langsam umrundete er eine Gruppe Seerosen und stieß dann mit seinem wulstigen Maul gegen einen Fremdkörper, der reglos in dem algigen Wasser trieb.
    Starr schaukelte der Körper hin und her und erzeugte leichte Wellen, die in konzentrischen Kreisen von den Armen und Beinen weg bis zum Beckenrand liefen.
    Seit Stunden hatte die Leiche bereits im Wasser gelegen und sich dabei ihrem neuen Element mehr und mehr angepasst. Die schulterlangen schwarzen Haare kräuselten sich auf den Wellen und umflossen das bleiche Gesicht wie seltsame Schlingpflanzen. Die Augenlider waren halb geschlossen und verliehen dem Antlitz ein jungenhaftes, verklärtes Aussehen. Der Abendanzug klebte am Körper wie eine dunkel glänzende Fischhaut. Die Schnürsenkel der schwarzen Lackschuhe hatten sich gelöst und wanden sich im Wasser wie schlanke Wasserschlangen.
    Gegen acht Uhr fanden zwei Gärtner den Toten, als sie ihre rostigen Schubkarren über den sandigen Weg zwischen den Teichen schoben. Der dunkle Fleck im Wasser hatte schon von Weitem ihre Aufmerksamkeit erregt. Sie ließen ihre Karren stehen und eilten an die steinerne Beckenumrandung.
    Während der Jüngere der beiden auf das gelbgrüne Wasser starrte, nahm der Ältere den zerfransten Strohhut ab und hielt ihn sich mit beiden Händen vor die Brust. Er zog scharf die von der Nacht noch feuchte Luft ein.
    »Na, servas«, sagte er und kratzte sich am Kopf. »Der is mausetot.«

ZWEI
    Ein endloser Pilgerzug von Touristen bewegte sich durch die Salzburger Altstadt. Er verharrte auf dem Mozartplatz vor dem Denkmal des Komponisten, zog dann am barocken Domportal vorbei, ehe er sich durch die engen mittelalterlichen Gassen wälzte, um endlich vor dem Wallfahrtsziel, Mozarts Geburtshaus, zum Stillstand zu kommen. Es war Festspielzeit, und die Stadt war zum Bersten voll. Überall drängten sich die Menschen, um die kunstvollen Hausfassaden im Bild festzuhalten. Eines der Fenster des alten Universitätsgebäudes stand zur Sigmund-Haffner-Gasse hin offen.
    »Bei der abgebildeten Statue handelt es sich um eine sogenannte ›Thronende Maria mit Kind‹, entstanden wahrscheinlich um 1435. Das Material ist Zirbelholz, wobei die Fassung neu aufgetragen wurde. Die Figur befindet sich zurzeit im Pfarrmuseum von Sand in Taufers im Pustertal.« Hans Bosch, Universitätsassistent am kunsthistorischen Institut, räusperte sich. Seine tiefe Stimme war in dem großen Raum fast nur als Murmeln zu vernehmen. »Die Provenienz der Plastik ist nicht gesichert. Vor ihrer Sicherstellung und Restaurierung – auf Vorschlag des kirchlichen Denkmalamtes – befand sich die Madonna in dem 1636 errichteten Peststöckl, wo sie als volkstümlicher Kultgegenstand verehrt wurde …«
    Der lautstarke Gesang einer Pfadfindergruppe, der von der Gasse herauf durchs Fenster drang, unterbrach ihn. Hans Bosch legte das Diktiergerät auf den
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