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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten
Autoren: Bernhard Moshammer
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Schussgeräusch, das war mein Vater, wie er die Tür aufreißt, schreit und wieder zuknallt. Ich weiß noch, ich habe geglaubt, meine Trommelfelle platzen.
    Kennt ihr das, wenn plötzlich etwas in deine Ohren sticht wie ein Messer oder eine Stricknadel? Seid ihr schon einmal taub zwischen Toten gelegen? Ich schon. Und ich rede hier nicht von einem Iggy-Konzert.
    Wartet, könnt ihr das hören? Da kommt noch was: Da spielt einer Schlagzeug. Jessasmarandjosef, das ist der Gstettner. Jetzt setzt die Gitarre ein, da habe ich … nein, das bin gar nicht ich, das ist der Firngruber! Ich bin der Sänger, hört ihr das? Das war unsere einzige Probe. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich da aufgenommen habe. Entschuldigt bitte, ich dreh auch schon wieder ab, ich will hier ja nicht sentimental werden. Nur Idioten sind sentimental. Ich will von etwas ganz Anderem erzählen, also hört zu, denn jedes meiner Worte ist wahr. So wahr wie die Bombe im Rucksack eures blöden Sitznachbarn in der U-Bahn.
    Also:
    Er nannte sich »Meine Wenigkeit«. Nicht schlecht, oder? An jenem Tag betrat Meine Wenigkeit die Bühne und hob seine Stimme an, um allen Anwesenden den Garaus zu machen, wie es heißt. Was soll ich sagen, er brauchte keine fünf Minuten dazu, vielleicht zehn. Es war das gigantischste
Bummm!
der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Aber schön der Reihe nach. Obwohl, wenn man’s genau nimmt, beginnen alle Geschichten mit einem Ende. Es heißt ja auch: Pass auf, wie du deine Frau oder deinen Mann kennenlernst, merke dir die Umstände, denn genau so wirst du dich auch von ihm oder ihr wieder trennen. Was soll’s. Hier jedenfalls das Ende von Meine Wenigkeit (und ein paar anderen):
    Er ließ noch einmal seine brüchige Stimme los, um die versammelte Menge mit seinem typischen Outsider-Rock’n’Roll-Gewäsch zu quälen. Und er genoss es in vollen Zügen. »Im Backstagebereich von Queen sind Zwerge in Leberpastete gelegen. Jessasmarandjosef, die wussten noch zu feiern!«
    Die Leute fingen gleich zu Beginn an sich zu langweilen, aber das war ihm egal. Im Gegenteil, ihr Desinteresse bestätigte ihn scheinbar in seiner Besonderheit. Und so fuhr er fort: »Ich bin zu glücklich. Und von glücklichen Menschen ist keine große Kunst zu erwarten. Ich sollte unglücklicher sein. Unzufriedener. Unbequemer.«
    Das Publikum war ziemlich unzufrieden, wurde unruhiger, wetzte auf seinen Stühlen hin und her, räusperte sich und atmete auffällig tief und laut. Meine Wenigkeit war ganz in seinem Element. Er war einer von der Sorte, die aufs Gas steigen, wenn die Situation gefährlich wird. Er wischte sich den Schweiß auch nicht von der Stirn, er ließ ihn theatralisch über sein Gesicht laufen und seine Zunge (die er schon als Jugendlicher mit der von Gene Simmons verglichen hatte, was natürlich lächerlich war) schnappte zwischen den Worten immer wieder nach den salzigen Tropfen. Und, was soll ich sagen, so manche Zunge eines so manchen Mädchens bahnte sich ihren Weg durch zusammengepresste Lippen und folgte nervös den Bewegungen der seinen. Das habe ich selbst gesehen, Jessas.
    »Ich habe meine Frau verlassen«, sagte er. »Frau, habe ich gesagt, du stehst mir im Weg. Du kochst mir mein Essen, wäschst meine Wäsche, regelst meine Finanzen. Wo ich doch eigentlich nicht essen, schmutzige Kleider tragen und mich verschulden sollte. Ich muss den Blues kennenlernen. Meine Frau hat mich nicht verstanden. Die fängt nichts an mit dem Wort
Blues
. Ich bin Künstler, aber meine Frau ist nur eine Frau.«
    »Arschloch!«, schoss es einem Mädchen durch die Zähne. Meine Wenigkeit grinste. Dabei war er nicht einmal verheiratet, der Idiot. Jetzt wechselte seine Stimme das Programm, so in Richtung Fernsehprediger oder amerikanischer Wahlkampf.
    »Ich bin Künstler!«, schrie er.
    »Tatsächlich? Dann fang endlich an!«, rief ein Mann aus der Menge zurück. Die Leute lachten, einige klatschten in die Hände, als ob sie lieber diesen Mann auf der Bühne haben wollten, aber Meine Wenigkeit ließ sich nicht beirren.
    »Die Ehe ist das Purgatorium des Künstlers. Die Familie die Hölle. Der glückliche Mensch sagt: Ja. Der Künstler: Nein. Der Künstler beobachtet und sagt da Nein, wo alle anderen Ja sagen. Ich praktiziere das jetzt. Wenn die Wurstdame beim
Billa
mich fragt: Darf’s ein bisserl mehr sein?, dann sage ich: Nein.«
    Endlich lachten ein paar Leute laut auf.
    »Wenn die freundliche Kellnerin beim Abservieren fragt: Hat’s Ihnen
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