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Wurst und Wahn

Wurst und Wahn

Titel: Wurst und Wahn
Autoren: Jakob Hein
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andere Betroffene vom ins Ungewisse verlaufenden Irrweg des Vegetarismus wieder abzubringen.
    Er schaute mir prüfend in die Augen. Ob ich mir das gut überlegt habe? Denn die Gefahren seien groß, unüberschaubar groß. Die Vegisten, wie er Vegetarier verächtlich nannte, seien überall, man könne sich nur sehr vorsichtig bewegen. Ob mir bei unserem ersten Treffen aufgefallen sei, dass er den Notausgang direkt in seinem Rücken gehabt hatte. Wenn zum verabredeten Zeitpunkt statt mir eine Horde blasser Langhaaraffen mit Stoffschuhen hereingestürmt wäre, hätte er nämlich noch einen Fluchtweg gehabt. Das müsse man haben bei dieser Art von Arbeit: Fluchtwege. Schnelle Beine. Gute Augen. Aber eigentlich sei das kein Problem für uns Karnivoren, denn wir würden uns ja wenigstens richtig ernähren. Unsere Sinne seien scharf, unsere Reflexe gut entwickelt.
    Ich atmete tief durch und sagte ja, das hätte ich mir reiflich überlegt. Ich wollte in den karnivoren Untergrund. Gut, sagte Bert nur kurz und nannte mir eine Adresse und eine Uhrzeit. Da solle ich hinkommen, die Losung sei »Bambi«. Ich nickte kurz, dann war er weg. Zu Hause briet ich mir ein schnelles Kalbsschnitzel ohne Panade und spürte, wie mir vor Aufregung das Blut in den Schläfen puckerte. Für ein Kalbsschnitzel hatte ich mich entschieden, weil ich nur etwas Mildes essen wollte, das Fleisch der ausgewachsenen Rinder, mit seinen deftigen Hormonen und Antibiotika, ganz zu schweigen von den Massen an Adrenalin, die sie bei der Schlachtung freisetzen, war eher was für kalte Wintervormittage, wo manein bisschen Aufmunterung brauchte. Aber das milde Kalb war genau das Richtige, um mich in dieser Situation zu beruhigen.
    Die Adresse führte mich zu einem Eisenwarengeschäft. Unschlüssig lief ich zwischen den Regalreihen mit Dübeln, Schrauben und Bohrmaschinen herum. Hinter der Kasse stand ein Mann mit einem blauen Nylonkittel, der auf mich einen unauffälligen Eindruck machte. Doch dann fasste ich mir ein Herz, ging zur Kasse, schaute dem Mann in die Augen und sagte: »Bambi«. Er schaute mich prüfend an und ich wiederholte die geheime Losung. Daraufhin nickte er, bedeutete mir, ihm zu folgen, und öffnete mir eine schwere Tür, auf der »Nur Personal« stand. Dahinter lag ein holzgetäfelter Raum mit Hirschgeweihen und Tierfellen an den Wänden, darüber ein Banner mit der Aufschrift »Karnivore Kameraden«. Ich erkannte Bert, der am Kopfende einer großen Tafel saß, auf der Essen stand, natürlich ausschließlich Fleisch. Ein Schwein drehte sich tropfend über einer offenen Flamme. In der Mitte des Tisches standen als Beilagen kalte Buletten, daneben dampfte eine Schüssel Beuschelragout. Statt Soßen wurden scharf gewürztes Lungenhaschee und Kuttelpaste gereicht. Ich setzte mich auf einen freien Platz und hörte erst einmal zu. Der Ton war militärisch, alteAufträge wurden diskutiert, neue Aufträge vergeben. Bert war hier offensichtlich der Chef. Verschiedene Szenarien zur Bekämpfung der vegetarischen Lebensweise wurden mit ernster Miene besprochen.
    Gleich bei diesem ersten Treffen bekam ich schon einen Auftrag: Bis zum nächsten Treffen sollte ich drei Veggies umdrehen, wie Bert das nannte. Er empfahl mir, auf Ökomärkten nach Menschen Ausschau zu halten, die den Korb voll Gemüse haben, aber die Blicke sehnsüchtig auf den Fleischstand richten, oder in Internetforen nach Zweifelnden zu suchen, wie ich es früher war. Aber ich solle mich vorsehen vor den Veganern, dem kämpfenden Arm des Vegetarismus. Diese völlig tierproduktfrei lebenden Wesen seien zu allem entschlossen. Man erkenne sie an den Stoffschuhen, den selbst gehäkelten Gürteln und Umhängetaschen. Durch ihr ausgeprägtes Eiweißmangelsyndrom hätten sie praktisch kein Zahnfleisch mehr, Männer und Frauen seien nicht letztgültig zu unterscheiden. Diese Armee des militanten Gemüsekonsums gelte es zu vermeiden, denn im Kampf seien diese Menschen, die sich irgendwo zwischen Leben und Tod aufhielten, ohnehin nicht zu besiegen.
    Das klang nach einer großen Herausforderung, doch ich wollte alles tun, um das Vertrauen derGruppe in mich zu rechtfertigen. Schon Mitternacht postierte ich mich am guten alten Imbiss auf dem Mittelstreifen. Hier fing die Nacht ihre ausgehungerten Schwärmer mit gelb-roter Neonlichtreklame ein. Es gab Pommes und Käsebrote, vor allem aber Currywurst, Bockwurst, Bratwurst, Knacker, Schnitzel – alles kam erst in die Friteuse, danach in den Teileschneider,
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