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Wurst und Wahn

Wurst und Wahn

Titel: Wurst und Wahn
Autoren: Jakob Hein
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sehr groß, aber als ich auch das letzte der vierhundert Gramm in meinem Körper untergebracht hatte, hätte ich am liebsten gleich noch so ein Stück gegessen. Überglücklich lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und leckte den blutig-fettigen Teller so sauber, dass ich ihn danach direkt ins Regal hätte zurückstellenkönnen. Ich konnte es kaum glauben, dass ich mir diesen Moment des Glücks freiwillig versagt hatte. Dem Tod, wenn er damals an der Türe geklopft hätte, willig hätte ich ihm Eintritt gewährt, es wäre keine schlechte Stunde zum Sterben gewesen.
    Doch die Nacht danach brachte mir statt sanfter Ruhe ein schmerzhaftes Erwachen. Mich weckten schreckliche, immer stärker werdende Magenkrämpfe. Fast schon ungläubig, doch meinem Körper gehorchend, rannte ich auf die Toilette, wo ich mich schließlich in schrecklichen Krämpfen schwallartig übergeben musste. Wieder! Wieder! Und wieder! Als würde mein Körper jede Faser des Steaks aus sich herauspressen, entfernen wollen. Körperlich und seelisch erschöpft und gebrochen fand ich zu schlechter Letzt in mein Bett zurück.
    Am Morgen schrieb ich Bert Brühwürfel eine geharnischte E-Mail. Ich berichtete ihm von meinem Versuch, die Seiten wieder zu wechseln und welche schrecklichen Folgen das für mich gehabt hätte. Ob die vegetarische Ernährung vielleicht doch das Richtige für meinen Körper wäre, schrieb ich. Ich wollte ihn ganz bewusst provozieren.
    Er antwortete rasch. Um Himmels willen, was ich da gemacht hätte. Keinesfalls dürfe man nach so einer langen Zeit gleich mit Vollfleisch anfangen,schrieb er. Das ist, als würde man versuchen, auf einem Acker nach Jahren der Dürre sofort Wassermelonen zu pflanzen. Alles brauche seine Zeit, mein Körper sei einfach nicht mehr an das Gute gewöhnt, langsam müsse man ihn heranführen, er habe mir doch Dutzende Male ausdrücklich zu Fleischbrühe geraten. Ich sei wie ein Stubenhocker, der sich nach Jahren das erste Mal von seinem Sofa erhebt und gleich den Marathon mitlaufen will.
    Nur eine Stunde später klingelte es an meiner Tür. Wie eine sorgende Mutter hatte mir Bert eine Tüte voller Innereien gebracht. Er kochte daraus eine leckere Brühe, die ich erst vorsichtig und dann gern und gierig trank und tatsächlich bei mir behalten konnte. Als ich das Feste aus dem Topf essen wollte, die klein geschnittenen Mägen, Herzen und Hälse, gebot er mir Einhalt. Jetzt gehe es langsam bergauf, ich solle mir Zeit lassen, sagte Brühwürfel. In der kommenden Woche könne ich ruhig schon mal eine Wurst versuchen oder eine Bulette. Und mein Rumpsteak, dafür sei nächsten Monat immer noch Zeit.
    Hoffnung.

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Freude / Zweifel
    Und die Kraft kam wieder, Herr Kommissar! Binnen Kurzem aß ich nicht nur jeden Tag Fleisch, sondern zu jeder einzelnen Mahlzeit. Zwischen Frühstück und Mittag schob ich ein kleines Wurst-Brunch ein, zwischen Mittag und Abendessen gab es Bulettenvesper und nach dem Abendessen immer noch einen kleinen Snack mit Würstchen, Senf und Chips mit Schinkengeschmack. Kurz, ich aß alles, wenn es nur früher ein Gesicht gehabt hatte. Für mich war das Aufbaunahrung, ich hatte es noch nie so sehr genossen und meinte, jede einzelne Blutzelle, jedes Hormon, jedes Milligramm Antibiotikum herausschmecken zu können.
    Darüber hinaus ging es mir auch psychisch wesentlich besser. An einem Tag hatte ich das Gefühl, Bäume ausreißen zu können, und fasste spontan den Entschluss, das auch zu tun. Ich ging und riss ein paar Bäume im Stadtpark heraus. Warum nicht?Früher hätte ich zu mir gesagt, das gehört sich nicht. Doch das hatten sie mir auch beim Fleisch gesagt: Iss das nicht, schlachte dies nicht. Und was hatte es mir gebracht? Frustration und Kastration. Die Wurzeln der kleinen Bäumchen machten beim Herausreißen ein dumpfes Geräusch, danach war ich wohltuend erschöpft. Bäume ausreißen, das war eben nicht nur so ein Ausdruck.
    Auch in meiner Hose regte und ruckelte es sich wieder ein wenig. Zwar musste ich für immer und ewig mit der Narbe leben – sie würde mir mahnende Erinnerung sein –, aber das Blut steuerte die betreffende Region wieder an und ich begann immerhin Phantomerektionen zu bekommen.
    So hätte es weitergehen können, Herr Kommissar. So hätte es weitergehen sollen. Aber ich wollte mehr. Darum sprach ich eines Tages Bert an, dass ich auch was tun möchte, um andere da herauszuholen, weil ich meine Rettung nicht als Geschenk, sondern als Verpflichtung ansah,
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