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Wurst und Wahn

Wurst und Wahn

Titel: Wurst und Wahn
Autoren: Jakob Hein
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gottähnlichen Wesen. Es sah mich traurig aus hohlen Augen an und fragte mich, warum ich an ihm zweifele. Obwohl mir nicht klar war, um was für ein Wesen es sich handelte, wollte ich ihm widersprechen. Aber ich konnte nichts sagen, weil mir der Mund mit Hirsebrei verstopft war, ein schlimmer Knebel, der auf meinen Kehlkopf drückte. Da ich es nicht mit meinem Widerspruch unterbrechen konnte, sprach das Wesen langsam und traurig weiter. Warum es denn, meiner Meinung nach, die Tiere aus so wohlschmeckendem Fleisch gemacht und mich mit einem Steakmesser beschenkt habe? Mein sogenannter Verzicht sei inWirklichkeit nur ein Affront. Ich wollte sprechen, schreien, sagen: Nein, es ist nicht so. Doch die Worte blieben mir kloßig im Hals stecken. Ich erwachte mit Atemnot und einem unangenehmen Druckgefühl im Hals, sofort setzte ich mich an den Rechner und verabredete mich wieder mit Bert, Herr Kommissar.
    Schnell sei es bei mir gegangen, begrüßte mich der Brühwürfel erfreut im Halbdunkel des Schnellrestaurants. Andere würden länger brauchen. Ich wehrte ab, mir ginge es immer noch um Informationen. Was steckt dahinter, warum erfährt man nichts über die Schattenseiten des Vegetarismus?
    Es gibt keine Schattenseite des Vegetarismus, zischte Bert, so wie der Teufel keinen Schatten habe. Der Vegetarismus sei die Nacht, das Schwarze an sich. Dahinter stecke ein riesiges Konglomerat aus gewaltbereiten Buddhisten, der Pharmaindustrie, der Waffenindustrie, der Ärzteverbände, der Pornoindustrie, der Gemüsebauern und natürlich dem Soja-Tofu-Industrie-Komplex. Worum es wirklich ginge, könne kein Mensch wissen, aber es sei eine ganz große Sache und wer zu viele Fragen an den falschen Orten stelle, der würde sich sehr bald mit ein paar Kirschkernen im Schädel auf dem Kompost wiederfinden.
    Die Pharmaindustrie, sagte Bert, hat natürlich einriesiges Interesse an der Sache. Die ganzen guten Vitamine: A , B , E , G , L und J müssen ersetzt werden, wenn der Mensch kein Fleisch mehr isst. Ich wandte ein, dass ich von G , L und J noch nie gehört hätte. Natürlich nicht!, sagte Bert. Das sind Cholesterin, Dioxin und Knorpel, ganz normale Stoffe, die jeder normale Fleischesser ausreichend zu sich genommen hätte. Aber durch die Invasion des vegetarischen Lebensstils würden nun massenweise Mangelerscheinungen auftreten, die wiederum durch Medikamente behandelt werden müssten. Ganz zu schweigen von den Abführmitteln, Antidepressiva, Schlaf- und Betäubungsmitteln.
    Und natürlich Pornos. Fleischfresser würden natürliche Libido empfinden und leben können, aber für Vegetarier gäbe es nur Pornos oder unfreiwilliges Zölibat.
    Die Waffenindustrie könne sich ohnehin nichts Schöneres vorstellen, sagte Bert, als eine Welt ohne Fleisch, denn das sei nun mal eine Welt, wo die Waffen nicht verstummen. Ob ich mir mal die Konfliktherde der letzten Jahrzehnte angesehen hätte? Sudan, Pakistan, Sri Lanka – überall kein Fleisch. Eine ganz große Sache sei das, sagte Bert. Riesig.
    Es ginge um nichts weniger als den Umsturz, sagte er. Den weltweiten, globalen Umsturz, das echteEnde der Geschichte durch Vegetarismus. Die Welt solle in einem karmischen Koma versinken, irgendetwas ganz Großes. Ich schaute skeptisch, so wie Sie, Herr Kommissar, aber das war nichts als frischer Wind in die lodernden Flammen seiner Argumentation. Ob ich denn nur mal über die strenge Hierarchie meines Vegetarier-Vereins nachgedacht hätte.
    Ich sagte ihm, dass ich in keinem Verein sei, ich sei mehr so zufällig dazu gekommen. Ich würde nicht zu irgendwelchen Treffen gehen und von einer Hierarchie hätte ich nun gleich gar nichts bemerkt, eher sei ich vollkommen allein.
    Ha, konterte Bert, das habe er schon Tausende Male gehört, alle möglichen Sektenopfer würden doch ihre Erzählungen damit beginnen, dass sie da eher zufällig hineingeraten seien. Und klar gäbe es bei einer weltweit operierenden Verschwörung keine regelmäßigen Ortsgruppentreffen oder Ähnliches. Dennoch, dennoch sei es ja wohl so, dass gewöhnliche Vegetarier wie ich erkennbar unten in der Hierarchie stehen. Natürlich nicht so weit unten wie die Karnivoren, die verhassten Fleischesser, die man als Feinde der Organisation betrachten würde, aber immer noch niedriger als die Veganer, die weder Ei noch Milch zu sich nehmen und kein Leder tragen. Über denen wären noch die Makrobiotiker, die nurnoch Hülsenfrüchte und Brühe essen. Und über denen stünden wiederum die Frutarier,
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