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Wurst und Wahn

Wurst und Wahn

Titel: Wurst und Wahn
Autoren: Jakob Hein
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gehöre einem geneigten Unterstützer der Kameraden und sei gewissermaßen unser Fleischtopf.
    Wir fuhren direkt an eine Laderampe, wo uns ein Arbeiter in blutverschmiertem Kittel und schwarzen Gummistiefeln zwei große Kübel Knochen und Innereien brachte. Die Tonnen rochen nach frischem Blut, der Arbeiter stellte sie gleich in unseren Kofferraum, den Bert zum Schutz mit einem Stück Plastikplane ausgekleidet hatte. Nun roch es in unserem Auto nach Fleisch, Bert nahm einen tiefen Atemzug und sagte, dass für ihn nichts auf dieser Welt schöner riechen würde. Schüchtern pflichtete ich ihm bei, doch mich quälte ein leichter Würgereiz. Bert parkte das Auto ein paar Meter neben der Rampe, wir müssten noch zum Chef hochgehen, ihm wenigstens kurz die Hand schütteln.

    Unser Weg führte uns durch die Fabrikhalle entlang der Verarbeitungsstraße, wo wir praktisch parallel zu einem Schwein liefen, dass in zwei Hälften zersägt, ausgenommen und in Einzelteile zerlegt wurde. Herr Kommissar, Sie müssen verstehen, ich war müde, angespannt, nervös, deswegen wurde mir sofort schlecht. Es war eine der schlimmsten Stunden in meinem Leben. Andere reden sich damit heraus, dass sie betrunken gewesen seien. Ich wünschte, ich hätte an diesem Tag etwas getrunken, vielleicht wäre ich ruhiger, vielleicht besonnener gewesen!
    Jedenfalls war ich nicht mehr ganz Herr meiner Sinne, als wir das Chefbüro betraten und ich meinen Augen nicht zu trauen glaubte. Im Büro des Chefs, direkt hinter dem Schreibtisch, auf dem Chefsessel selbst saß niemand anderer als Tom Tofu! Er thronte dort mit einem blütenweißen Fleischerkittel bekleidet in einem schwarzen Ledersessel hinter einem riesigen Schreibtisch, auf dem nur ein paar Stifte lagen und irgendein Pokal stand. Es war, als ob ich in einen schlechten Traum hineingeraten war, aus dem ich nicht aufwachen konnte. Ich schaute zu Bert, der kein bisschen verwundert war, ich schaute zu Tofu, der ebenso ruhig war.
    »Sie – du?«, stammelte ich nur fassungslos. In der Tat. Tom Tofu begrüßte mich herzlich, er freue sich,mich unter anderen Umständen wiederzusehen. Es hieße ja immer, dass man sich stets zweimal im Leben begegne, und hier und jetzt würde das wohl zutreffen.
    Ich schaute zum Brühwürfel herüber, zögerte einen kurzen Moment, zeigte dann aber mit der großen Geste des Verrats auf Tofu und sagte zu Bert: »Das hier, dieser Mann ist Tom Tofu, ein führender Vegetarier.« Keine Ahnung, was ich erwartete, aber sicher nicht, dass Bert Brühwürfel diesen Satz nickend quittierte. Ja, das wisse er natürlich. Tofu sei ein guter Freund, aber er habe ein perverses Hobby. Sein Weg, Vegetarier zurück auf den richtigen Weg zu bringen, sei es, ihren Vegetarismus so sehr zu beschleunigen, so unbarmherzig anzufachen, dass sie einfach zurückkommen müssten.
    Aber was, fragte ich, sei mit denen, die es nicht mehr schaffen, was sei mit denen, die ihre Familie verlören, ihre Gesundheit, ihre Existenz? Tofu grinste nur verschlagen aus seinem Chefsessel. Tja, ein bisschen Schwund sei immer. Ich sprang über den Tisch auf ihn zu. Ein bisschen Schwund?, schrie ich ihn an. Ein bisschen Schwund? Mein ganzes Leben ist zerstört, meine Frau weg, meine Arbeit dahin, genau wie mein Penis. Ob es das sei, was er ein bisschen Schwund nennen würde. Längst schon würgteich ihn. Bert Brühwürfel sprang hinzu und versuchte, mich von Tofu herunterzuziehen, doch er kam nicht an gegen die übermenschliche Kraft meines weiß glühenden Zorns.
    Tom Tofu grinste immer noch, der Brühwürfel zog an meinen Schultern und ich kniete zwischen beiden und begann gerade zu überlegen, wie es wohl weiterging, als sich plötzlich das metallisch glänzende Objekt von seinem Schreibtisch, der schwere Pokal, auf seinen Weg zum Boden machte und dabei von Tom Tofus Schädel gestoppt wurde. Wie in Zeitlupe, überklar, sehe ich dieses Bild tausendmal am Tag. »Großer Preis der Besten Würstchen« stand auf dem Granitfuß der Trophäe, deren metallener Wurstzipfel sich in Tofus Gehirn gebohrt hatte. Nie werde ich den entrückten Blick in seinen Augen vergessen. Er war sofort tot. Bert Brühwürfel schrie auf, ließ mich endlich los und lief aus dem Zimmer. Er wird wohl die Polizei gerufen haben. Ich setzte mich fassungslos auf Tofus Chefsessel, wo mich Ihre Kollegen fanden, als sie kurze Zeit später eintrafen.
    Ihre Kollegen werden bezeugen, dass ich keinerlei Widerstand geleistet habe. Froh war ich, festgenommen zu sein,
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