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Wurst und Wahn

Wurst und Wahn

Titel: Wurst und Wahn
Autoren: Jakob Hein
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zurückfielen, sehr lange konnten die noch nicht dabei gewesen sein.
    Ich bemühte mich, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, Herr Kommissar, denn gerade von meinem Mentor hatte ich mir Anerkennung erhofft. Doch er schaute nur grimmig und sprach von meinem nächsten Auftrag, der nicht nur etwas, sondern um einiges schwieriger sei: Wir wollten unbemerkt Fleischreste in den Suppenansatz einer ökovegetarischen Großküche verbringen und so eine vegane Suppe zu einer kräftigen Fleischbrühe machen. Das sei eine Aktion von erheblicher Auswirkung, die aber auch mit großen Gefahren verbunden war. Wir mussten davon ausgehen, dass das Gelände von bis an die Zähne bewaffneten Pflanzenfressern bewacht wäre, die uns ohne Skrupel abknallen würden. Aber wenn wir erfolgreich seien, dann wäre es eine Aktion von herausragender Bedeutung. Denn dann würden wir mit einem Streich Hunderten entkräfteter Vegetarier wieder Kraft und Hoffnung einflößen. Hunderte, wenn nicht Tausende, die dann unsere Brühe und mit ihr wieder Hoffnung schöpfen würden. Dann hätten wir geschafft, was vorher so nur Odysseus in Troja gelungen wäre.
    Er würde immer im Plural sprechen, sagte ich. Wer denn noch bei der Aktion dabei wäre? Es sei ganz klar, sagte Bert, dass bei dieser Art von Aktion auch erfahrene Aktivisten mitmachen müssten. Und bei einer historischen Herausforderung wie dieser dürfte auch ein Führer nicht zurückstehen. Daher habe er sich entschlossen, sich selbst als zweiten Mann einzuteilen. Ein Raunen ging durch die karnivore Runde. Das war offensichtlich vollkommen ungewöhnlich und so erhielt ich doch riesige Anerkennung für meine Arbeit. In einem archaischen Ritual machte dann eine extralange Bratwurst die Runde, von der jeder Kamerad ein kleines Stückchen abbiss und uns Glück und Gelingen wünschte. Nachdem Bert den ersten Bissen gemacht hatte, war ich der Letzte in der Runde und durfte den Wurstzipfel aufessen. Ich schluckte mit ihm auch meine Rührung hinunter. Schon morgen früh würde es losgehen, ich solle mich in sportlich-leichter Kleidung bereithalten, sagte Brühwürfel zum Abschied.
    Am nächsten Morgen klingelte Bert früh an meiner Tür. Ich war noch nicht ganz fertig und ließ ihn kurz herein. Während ich meinen Rucksack nahm und mir die Jacke überzog, sah Brühwürfel plötzlich etwas, das ihn in Rage versetzte. Wie von der Tarantel gestochen stürmte er meine Küche. Er tobte und schrie, weil er dort ein paar grüne Bohnen entdeckt hatte, eine Handvoll nur, die unschuldig neben der Spüle gelegen hatten. Zwar war ich kein Vegetarier mehr, aber ein paar Bohnen zur Schnitzelplatte schmeckten mir immer noch. Doch Brühwürfel konnte seine Wut kaum beherrschen. Ob ich immer noch nichts begriffen hätte? Ob ich eswirklich ernst meine mit dem karnivoren Untergrund oder ob ich nur ein Modekarnivore oder – schlimmer noch – ein veganes U-Boot, ein Maulwurf sei? Ob ich überhaupt wissen würde, dass Bohnen eines der schlimmsten aller Gemüse sei, dass das verhasste Tofu aus Sojabohnen gemacht würde. Wo ich eigentlich stehen würde?
    Ich versuchte ihn zu beruhigen, sagte, dass ich immer noch überzeugter Karnivore sei, dass ich nur sehr, sehr wenig Gemüse essen würde. Ich öffnete sogar meinen Kühlschrank, Herr Kommissar, fetzte die Folie von einem dort liegenden Huhn ab und riss mit meinen Zähnen ein Stück rohes Fleisch aus der Keule, nur um Bert Brühwürfel wieder zu beruhigen. Aber ich sah in seinen Augen, dass ich seine letzten Zweifel auch damit nicht ausräumen konnte.
    So gingen wir an diesem Schicksalstag auf unsere Mission: Ich hatte schlecht geschlafen, wegen der Bohnen ein schlechtes Gewissen, Angst wegen der militanten Veganer und neben mir der misstrauische Brühwürfel, seines Zeichens Führer der Karnivoren Kameraden. Verstehen Sie, Herr Kommissar, meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, es war unerträglich.
    Bert war mit dem Auto gekommen, nur er wusste, wohin es ging. Wir fuhren nach Norden. Siekönnen sich meine Überraschung kaum vorstellen, als wir plötzlich vor »Fleisch- und Wurstwaren Europa« hielten und warteten, während sich das mir aus meiner schlimmen Zeit bestens bekannte rostrote Werkstor für uns öffnete. Erstaunt schaute ich zum Brühwürfel und fragte, was wir denn hier machen würden, hier wäre ja wohl keine ökovegetarische Küche verborgen. Natürlich nicht, lachte Bert. Hier würden wir Fleisch und Knochen für die Brühe bekommen. Die Fabrik
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