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Wurst und Wahn

Wurst und Wahn

Titel: Wurst und Wahn
Autoren: Jakob Hein
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dann unter eine schöne Schicht Soße nach Wahl und dann auf einer Pappschale mit Plastikpieker dem Kunden vors Gesicht.
    Ich holte mir eine große Truckerplatte mit Schnitzel, Pommes und Mayo, postierte mich an einem Stehtischchen mit gutem Blick zur Verkaufsluke und verzehrte schön langsam das, was mir die Friteuse auf die Pappschale gezaubert hatte. Die meisten Kunden bestellten ihr Essen mit gleichgültigen Gesichtern, schaufelten es schnellstmöglich in sich hinein, schmissen kurzerhand die Reste weg und liefen weiter. Aber ein Typ fiel mir auf, Mann, Anfang, Mitte dreißig mit Nickelbrille und einem ungewöhnlichen Schal. Als ihn der Verkäufer nach seinem Wunsch fragte, zögerte er erst, bestellte sich dann eine Portion Pommes und eine Cola, zögerte noch mal, gab dem Verkäufer dann das Geld, stellte sich an eines der Tischchen und schaute sehnsüchtig Richtung Grill.

    Alles klar, dachte ich mir! Das war einer, ein verzweifelter Veggie. Da war ich mir absolut sicher. Die hohlen Augen, die zu groß gewordenen Klamotten und vor allem die Bestellung. Er hatte durch die Bestellung von Cola und Pommes noch das Ungesundeste herausgeholt, was er als Vegetarier essen durfte, doch sein Blick ging sehnsüchtig zu den Würsten. In meiner schlimmen Phase hatte ich selbst manchmal so auf dem Mittelstreifen gestanden und mich in die Welt des Fleischs zurückgewünscht.
    Scheinbar beiläufig sprach ich ihn an, nichts dabei, nachts am Imbiss auf dem Mittelstreifen. Ein Gespräch zwischen zwei Nachtaktiven. Ob der Imbissmann bei ihm die Wurst vergessen habe, fragte ich listig. Nein, sagte er, leider sei er Vegetarier, er habe sich kein Würstchen bestellt, auch wenn er jetzt nichts lieber täte. Die späte Stunde verlieh ihm eine Offenheit, die er mir sicherlich nicht an einem Nachmittag entgegengebracht hätte. Er könne sich doch ein Würstchen bestellen, schlug ich vor, es würde ja keiner sehen und ich würde ihn bestimmt nicht verraten. Nein, das ginge nicht, die armen Tiere und seine Freundin und überhaupt. Ich versuchte es mit einem Scherz: Also seine Freundin sei ganz bestimmt in keiner von den Würsten. Wir lachten gemeinsam. Er sagte, dass ich ja recht habe, und holte sichschließlich eine riesenlange Wiener, köstliche achtzig Zentimeter Separatorenfleisch. Nummer eins. So schwer ist das gar nicht, dachte ich.
    In dieser Woche machte ich mehr als zwölf Veggies auf dem Mittelstreifen klar, wie wir damals sagten, Herr Kommissar. Nach ein paar Tagen erkannte ich sie schon von Weitem, wenn sie sich anstellten. Der kurze Blick, der Versuch des Vorbeigehens und dann das Doch-Anstellen. Mitternacht und danach war die allerbeste Zeit. Manchmal kam ich mir regelrecht wie eine Art Vampir vor, der Mitternacht aus seiner Gruft aufsteigt und andere zu blutrünstigen Monstern macht. Es fühlte sich toll an. Der Verkäufer kannte mich schon und spendierte mir ab und zu eine Brühpolnische, denn er merkte, dass ich gut für seinen Umsatz war.
    Tagsüber verteilte ich Flugblätter in der Fußgängerzone. Mit dem Satz »Mögen Sie Pflanzen?« versuchte ich mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Wer kann dazu schon Nein sagen? Dann erklärte ich ihnen, wie toll Pflanzen sind, wie sich die zarten Wurzeln der jungen Pflanzen gleich Kinderfingern in der Muttererde festhalten und wie schlimm es ist, wenn zum Beispiel Getreidehalme in der Blüte ihres Lebens einfach abgeschnitten und gedroschen werden. Oder der zarte Salat, die fröhlichen Pilze! Wenn sie wirklich was für Pflanzenschutz tun wollten, gebe es natürlich eine ganz einfache Methode, sie sollten mal in das Flugblatt hineinschauen. Drinnen stand mehr oder weniger einfach, dass sie Fleisch essen sollen, das sollte doch für die meisten eine sehr gute Nachricht sein: Gutes tun ohne Anstrengung.
    Auf das nächste Treffen bei den Karnivoren Kameraden freute ich mich natürlich besonders, weil ich stolz berichten konnte, dass ich meinen Auftrag übererfüllt hatte. Nicht weniger als zwölf Veggies wieder auf die richtige Spur gebracht, nicht schlecht für einen Anfänger. Ich berichtete angemessen kurz, würzte aber meinen Erfolgsbericht mit kleinen Details, so wie der Majoran die Bratwurstmasse würzt. Trotzdem wird man mir den Stolz über das Erreichte angemerkt haben. Die meisten in der Runde lächelten mich an, nur Bert Brühwürfel blieb unbeeindruckt. Ob ich Beweise hätte, fragte er und dass es merkwürdig sei, wenn echte Veggies so problemlos in den Wurstkonsum
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