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Wurst und Wahn

Wurst und Wahn

Titel: Wurst und Wahn
Autoren: Jakob Hein
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Einleitung
    Ausgerechnet einen Vegetarier in seinem Blut liegen zu sehen, war verwirrend und seltsam. Aber ich bin froh, Herr Kommissar, froh und erleichtert, dass es vorbei ist. Sie verstehen, für mich war er ja immer Vegetarier gewesen, so wie ich selbst einer gewesen war, und Vegetarier sind nun mal Menschen, die Obst, Gemüse und Getreide in sich hineinstopfen. Sein totes Fleisch und das rot fließende Blut passten da nicht ins Bild. Aber wie gesagt, ich bin froh, dass es endlich vorbei ist; dass das Ganze zu Mord und Totschlag führen würde, war nun wirklich nicht abzusehen gewesen und ich frage mich erschrocken, wohin es noch hätte führen können.
    Sie haben mir zu einem umfassenden Geständnis geraten und ich will Ihrer Bitte gern entsprechen. Ich werde Ihnen alles erzählen, so wie es war. Aber um den ganzen Sachverhalt zu erläutern, muss ich etwas weiter ausholen. Meine Absicht ist es nicht,mich herauszureden, und ich will Sie auch nicht langweilen, aber ich kann das eine nicht erzählen, ohne das andere zu erwähnen, und ich kann versprechen, dass Sie am Ende Ihr Geständnis haben werden. Aber dazu muss ich von vorn anfangen, bei Adam und Eva sozusagen. Kein ganz schlechter Vergleich, denn der Griff nach dem Apfel ist gewissermaßen auch der Sündenfall in meiner Geschichte.
    Warum ich damals Vegetarier geworden bin, kann ich heute nur noch rekonstruieren, nicht mehr verstehen, Herr Kommissar. Ein paar Jahre vorher war es noch ganz harmlos mit ein paar Filmen und Büchern losgegangen. Die Filme liefen spät nachts, und die Bücher hat kaum jemand gelesen. Die Zeitungen griffen das Thema auf, es gab Berichte und Interviews. Zunächst ging ich davon aus, dass es bald ein anderes Modethema geben würde und alle bald wieder Fleisch essen würden wie vorher. Aber es kam leider anders. Eines Tages aß fast niemand mehr Fleisch. Die Zeiten hatten sich geändert. Die Leute rauchten jetzt auch nicht mehr und tranken immerzu koffeinhaltige Getränke. Ob sie noch Sex hatten, wage ich nicht zu beurteilen. Alles war freudlos und grau. Ständig wurde über die Spuren gesprochen, die man auf dem Planeten hinterlassen würde. Nichteinmal mehr das kleine Vergnügen einer Wochenendreise nach London oder einer nächtlichen Spritztour auf der Autobahn wurde einem gegönnt.
    Ich meine, leichte Verachtung in Ihrem Blick zu erkennen, Herr Kommissar. Sicher sind Sie nicht gleich bei jeder Mode dabei und kennen auch das Gefühl beim Schwimmen, wenn Ihnen das Wasser des Flusses entgegenfließt. Ich meine, Sie sind Polizist geworden, das ist ja nicht gerade ein populärer Beruf. Aber ich bin da anders. Es war mir immer wichtig gewesen, nicht aus der Reihe zu tanzen, dabei zu sein. Als die Schlaghosen aus der Mode kamen, begann ich eben Karottenhosen zu tragen. Mit diesen freundete ich mich rasch an, weil sie einen hohen Tragekomfort mit einer großen Gnade gegenüber dem Körper des Trägers verbanden. Ich beschloss sogar, nie wieder etwas anderes zu tragen, und erklärte Karottenhosen zu meinem Stil. Doch schon die nächste Verkäuferin in einem Jeansshop hob diesen Beschluss mit einem indignierten Heben der linken Augenbraue wieder auf. Bald gab es keine Karottenhosen mehr zu kaufen und ich quälte mich wie alle anderen in Röhrenhosen und kämpfte allmorgendlich mit den drei Metallknöpfen.
    Als die Fleischerei Hess zumachte, habe ich mich das erste Mal ernsthaft gewundert. Seit Jahrzehntenhatte Hess seinen Laden bei uns auf der Allee. Hinter der Glasvitrine standen wohlgenährte Frauen mit blassrosa Blutflecken auf den weißen Kittelschürzen, da, wo sie sich die Hände nach jedem Kunden kurz abwischten. Hess war eine Institution bei uns im Viertel, die Allee war ohne den Laden praktisch nicht denkbar, und dann war er zu. Umzingelt von Biomärkten, Gemüseläden und Läden mit selbst gepressten Säften und fair gehandelten Kaffeegetränken konnte Hess nicht mehr existieren. Ein paar Wochen stand der Laden leer, dann zog ein Wellness-Tempel ein. Das machte das Ende endgültig. Plötzlich gab es keinen Fleischer mehr bei uns.
    Aber es war nicht nur das. Es gab im ganzen Viertel überhaupt kein Fleisch mehr. Die Restaurants hatten alle auf vegetarisch umgestellt, die letzten Imbisse verkauften Falafel und mit Käse oder Hummus beschmierte Brote, im Supermarkt richteten sie einen abgetrennten Bereich für den Fleischverkauf ein, den nur Erwachsene betreten durften. Ich fragte den Verkäufer, was denn passiert
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