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Durch den Sommerregen

Durch den Sommerregen

Titel: Durch den Sommerregen
Autoren: Melanie Hinz
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1.
    Dieser Frühsommer ist mein persönlicher Alptraum. Jedes Wochenende eine andere Hochzeit. Mit Ende 20 scheinen sämtliche Bekannten und Arbeitskollegen von mir das noch schnell hinter sich bringen zu wollen. All das Glück, die Herzchen und fröhlichen Gesichter. Bei mir führt es zu Übelkeit.
    Mein Gesicht schmerzt vom ganzen gezwungenen Lächeln. Nur meine gutmütige Natur hält mich davon ab, einen bissigen Kommentar nach dem anderen abzugeben. In meinem Kopf hasse ich jeden Moment dieser Veranstaltung. Die einzige Erleichterung bringt mir der Gedanke, dass das die letzte Einladung war.
    „In einer halben Stunde wirft Christina den Brautstrauß, bevor sie sich auf den Weg in die Flitterwochen machen. Danach können wir ganz dezent verschwinden“, flüstert mir meine Kollegin Stefanie zu. Sie ist meine Verbündete am Singletisch. Zwischen Christinas merkwürdigen Cousins und verwitweten Tanten ist sie die einzige, mit der ich ein normales Gespräch führen kann, ohne das Bedürfnis zu haben, meinen Kopf auf die Tischplatte schlagen zu müssen.
    „Gott sei Dank. Ich muss dringend aus diesen Schuhen raus. Und wenn Marko mir noch einmal seine verschwitze Pranke auf die Schulter legt, dann macht sein Gesicht Bekanntschaft mit meinem Ellbogen“, flüstere ich zurück.
    Natürlich würde ich niemals eine Szene veranstalten, aber die Verlockung ist groß. Warum manche Männer glauben, ein fehlender Ehering sei die Einladung zum schamlosen Grabschen, wird sich mir nie erschließen. Doch selbst solche Umstände bringen mich nicht dazu, meinen Ring wieder anzulegen.
    „Du hast mein vollstes Verständnis, Lena. Ich hätte ihm schon längst eine verpasst.“
    Und da ist sie wieder. Die feuchte Hand. Auf meiner Schulter.
    „Kann ich den scharfen Bibliothekarinnen noch ein Getränk besorgen?“
    Marko, Anfang 40, mit einem unappetitlich fettigen Hautproblem und Mundgeruch. Dazu mit null Feingefühl und einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein gesegnet, klebt er den ganzen Abend an uns dran.
    Er ist ein Paradebeispiel dafür, warum ich als Single besser bedient bin. Wer will bitte zu so jemandem abends nach Hause kommen? Von der abgedroschenen Anmache in Bezug auf unseren Beruf will ich erst gar nicht anfangen.
    „Nein, danke. Wir sind bedient.“ Auf so vielen Ebenen.

    Nach einer endlos scheinenden Abschiedszeremonie für das Brautpaar bin ich endlich auf dem Weg nach Hause. Befreit von den einengenden Stilettos und mit heruntergelassenen Fenstern biege ich in meine Straße ein. Es ist bereits dunkel, doch der Tattoo-Shop gegenüber meiner Wohnung ist noch hell erleuchtet. Die drei Männer aus dem Laden sitzen im Empfangsbereich über einer Mappe voller Skizzen.
    Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, nicht mindestens einmal am Tag einen intensiven Blick herüberzuwerfen.
    Meine heimliche Vorliebe liegt bei den weniger biederen Männern. Und die drei Tätowierer sind mehr als nur einen Blick wert.
    Erleichtert, diesen Tag endlich hinter mich gebracht zu haben, parke ich meinen Wagen auf dem mir zugewiesenen Parkplatz. Mit den Schuhen und meiner Handtasche in der einen Hand und einem Stück Hochzeitstorte auf einem abgedeckten Pappteller in der anderen, gehe ich auf nackten Füßen zur Haustür. Der Asphalt ist noch angenehm warm von der Sonneneinstrahlung des Tages.
    „Helena?“
    Gabriel, der Neuzugang im Shop, kommt hinter mir auf mich zugelaufen. Erschrocken darüber, meinen Namen aus seinem Mund zu hören, drehe ich mich zu ihm um. Er hat ein Paket in der Hand und bleibt in gerade noch angemessenem Abstand vor mir stehen.
    „Hey, was gibt’s?“
    Ich mag müde und erschöpft sein, dennoch kann ich durchaus die Augenweide vor mir genießen. Mit seinem gepflegten, kurzen Kinnbärtchen und den beinahe kinnlangen, dunkelbraunen Haaren, ist er eigentlich weit von dem entfernt, was ich normalerweise attraktiv finde, trotzdem hat er irgendetwas an sich, dass ich noch nicht richtig greifen kann.
    „Wir haben ein Paket für dich angenommen. Das war hoffentlich in Ordnung.“
    Nervös tritt er von einem Fuß auf den anderen. Im Hintergrund sehe ich Sam und Markus, die Inhaber des Tattoostudios, feixend in unsere Richtung schauen.
    „Natürlich. Danke dir. Und was ist mit den beiden los?“
    Obwohl ich die Hände schon voll habe, versuche ich umständlich das Paket von ihm zu übernehmen.
    „Keinen Plan. Das Übliche, schätze ich.“
    Er ist kaum in der Lage, mir in die Augen zu schauen.
    „Alles in
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