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Coruum Vol. 1

Coruum Vol. 1

Titel: Coruum Vol. 1
Autoren: Michael R. Baier
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1 Prolog
Guatemala, Region um Tikal
17. August 2014
30.396/8/5 SGC
     
     
    Die letzten roten Strahlen der untergehenden Sonne kratzten an den verwitterten Überresten des in Kalkstuck geformten Bildnisses von Jasaw Chan K’awiil, dem 26. und letzten großen Herrscher der einstigen Maya-Metropole Tikal.
    Seine 19 Meter hohe Reliefdarstellung im Schmuckkamm auf der Spitze der Tempelpyramide I, dem höchsten Gebäude Tikals, blickte seit mehr als eintausend Jahren wehmütig über den Großen Platz hinweg auf ein nahezu spiegelbildliches Bauwerk, das in der Spitze das Relief seiner damaligen Geliebten trug.
    Dr. Pete Williams hatte heute keinen Sinn für Romantik. Er hatte seit langem aufgehört, den äußerlichen Aspekten der Ruinenstadt viel Aufmerksamkeit zu widmen.
    Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, der ihm trotz der buschigen Brauen immer wieder in die Augen lief.
    Seit einer knappen halben Stunde stocherte er in zwölf Metern Höhe auf der Südseite der Mundo-Perdido-Pyramide mit einem kleinen Spachtel in einer zwei Finger breiten, regelmäßigen Fuge, die um einen kopfgroßen Kalkquader herumlief.
    Es wäre nichts Besonderes an der Fuge um den leicht trapezförmigen Quader – und dem Quader selbst – gewesen, schließlich gab es Zehntausende von ihnen allein in diesem Bauwerk, wären beide nicht so außergewöhnlich gleichmäßig gewesen.
    Normalerweise hätte er sie niemals entdeckt. Es war wie so oft in solchen Fällen Glück im Spiel gewesen.
    Während der letzten Monate war der Pyramidenkomplex aufwendig von seiner Moos- und Geröllschicht gereinigt worden. Pete hatte die im Sonnenlicht hell strahlende Veränderung seit seinem letzten Besuch erfreut zur Kenntnis genommen. Die sintflutartigen Niederschläge der letzten Nacht hatten danach leichtes Spiel gehabt, die nach der Reinigung verbliebenen Wurzel- und Geröllreste aus den breiten Fugen zu waschen. Im schräg stehenden Licht der Spätnachmittagssonne war Pete die wie mit einen Laser geschnittene Fuge in der sonst riefigen und unregelmäßigen Oberfläche des Bauwerkes nach mehrmaligem Hinsehen aufgefallen.
    Er war die Südtreppe bis zur dritten Gebäudestufe hinaufgeeilt und hatte sich in einem akrobatischen Akt fünf Meter über die schräge und raue Fassade wieder auf die zweite Gebäudestufe hinuntergehangelt.
    Schwer atmend hatte er minutenlang vor der exakten Fuge gestanden, bevor er sich seines Archäologie-Spachtels erinnerte und mit ihm die Tiefe der Fuge zu erforschen begann. Seine anfängliche Überraschung steigerte sich zur Fassungslosigkeit, als er außer einzelnen Wurzelfäden und Steinchen nichts zu Tage förderte und er an keiner Seite des Quaders mit dem Spachtel auf ernstzunehmenden Widerstand stieß. Der zentnerschwere Kalkquader konnte nicht einfach berührungslos zwischen den anderen schweben, gehalten von Pflanzenresten. Er musste irgendwo in der dicken Mauer ein Widerlager haben.
    Er strich mit der Hand vorsichtig über die Kanten des Quaders. Sie sahen so exakt aus, als könnte er sich leicht die Finger daran abschneiden. Wieder wischte er sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und rückte seine Brille zurecht. Die Luftfeuchtigkeit war im Windschatten der Pyramide drückend geworden. Die Kalkquader schienen die während der Mittagshitze aufgesogene Wärme direkt auf Pete zurückzustrahlen. Das allgegenwärtige Sirren der hungrigen Mücken nahm er nur noch am Rande zur Kenntnis.
    Er unterbrach seine Untersuchungen und setze sich erschöpft für einen Moment auf den zwei Meter breiten, von Kalksedimenten überzogenen Absatz. Sein Blick schweifte ab und glitt über die neun am Fuße der Pyramide aufgereihten Stelen der Terrasse zu dem zehn Meter breiten – die gesamte Struktur umgebenden – Rasenstreifen in den direkt dahinter beginnenden, tiefgrünen Regenwald.
    Die schwüle Luft des Tages hatte den Nachmittag genutzt, sich weiter mit Wasser voll zu saugen, während das Blau des Himmels sich nach Süd-Osten hin immer mehr im Dunst hoher Wolken verlor. Innerhalb weniger Jahre würde die durch das feuchte Klima begünstigte Vegetation sich diese Strukturen wieder einverleibt haben, wäre nicht der ununterbrochene Kampf der Park-Ranger mit ihren großen Rasentraktoren gewesen.
    Wieso war dieser Quader dann so regelmäßig?
    Pete erhob sich. Seine Hand umfasste beim Aufstehen etwas Festes.
    »Was?«
    Überrascht zog er den Gegenstand unter dem Kalkschutt hervor. – Ein Stück Draht,
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