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Wurst und Wahn

Wurst und Wahn

Titel: Wurst und Wahn
Autoren: Jakob Hein
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in Ackerfläche umgerodet werden. Kühltruhen voll von schädlichen Klimagasen müssten von den Supermärkten entsorgt werden, vorbereitete Plastikverpackungen für Fleisch- und Wurstwaren weggeworfen werden.
    Und wenn wir schon von der Umwelt redeten: Was sei denn bitte seit Menschengedenken der beste Dünger für die Pflanzen und Bäume überhaupt? Natürlich Dung! Und welche wertvolle Pflanzennahrung wird durch die vegetarische Epidemie nicht mehr produziert? Eben. Wer also erzähle, dass die Tiere oder die Umwelt leiden würden, der habe ja ganz offensichtlich ein ganz anderes Ding am Laufen. Darüber solle ich mal nachdenken und dazu vielleicht ein kleines Tässchen Fleischbrühe trinken, damit mein Gehirn wieder auf Touren kommt.
    So sprach er auf mich ein, predigte, ereiferte sich, Herr Kommissar. Er möge sich beruhigen, bat ich ihn, so dramatisch sei es ja nun auch wieder nicht. Doch das hätte ich nicht sagen dürfen. Nicht dramatisch?, erregte sich Bert. Nicht dramatisch? Ich solle mir doch einmal, nur ein einziges Mal Gedanken über den Zusammenhang zwischen Frieden und »Fleisch für alle« Gedanken machen. Ob es nicht auffällig sei, dass es in Westeuropa schon seit mehr als sechzig Jahren so friedlich sei. Und wann der letzte Krieg zwischen den USA und Kanada getobt habe? Kriege gebe es doch immer nur in den Getreidestaaten, wo die Menschen nichts als Brot undHülsenfrüchte zum Essen hätten. Da sei es ganz natürlich, dass die animalischen, ja kannibalischen Instinkte des Menschen zum Ausbruch kommen würden. Wenn hingegen den Menschen genug Fleisch zur Verfügung stünde, dann würde es keine Kriege geben. Die Vegetarier löschen nicht das Feuer unter den Grillrosten, sondern sie setzen die ganze Welt in Brand.
    Das war mir doch etwas zu viel. Mit irgendeiner Ausrede verabschiedete ich mich von Bert Brühwürfel, der sich mit hochrotem Kopf ein XXL – Menü bestellte und den Mann hinterm Tresen bat, Brot und Pommes wegzulassen. Er würde verstehen, dass mich seine Worte aufgewühlt haben, sagte er zum Abschied, aber das sei auch seine Absicht gewesen.
    Trotz der anstrengenden Unterhaltung musste ich doch feststellen, dass ich das Restaurant in gekräftigtem Zustand verließ. Wie soll ich es erklären, Herr Kommissar? Ich spürte förmlich, dass mir der Geruch von Frittierfett gutgetan hatte. Herrlich hatte das brutzelnde Hintergrundgeräusch der Buletten auf dem heißen Herd geklungen! Doch leider war der Effekt nur von kurzer Dauer, ein paar Schritte an der frischen Luft und das alte vegetarische Gefühl von Kraft-, Freud- und Hoffnungslosigkeit war wieder da. Ich versuchte, den Moment noch ein wenig festzuhalten, indem ich mein Gesicht im Jackenkragen vergrub, wo mir aus dem Inneren der Jacke ein schwacher Hauch von McDonald’s-Geruch entgegenschlug. Aber es blieb ein flüchtiger Moment des Glücks.
    Nach dem Gespräch wieder zu Hause angekommen, musste ich darüber nachdenken, was der Brühwürfel gesagt hatte. Konnte es am Ende sein, dass er recht hatte? Aber wenn es so war, dann hieß das doch, dass dahinter eine riesige Verschwörung stecken musste. Denn wenn er recht hatte, würde das bedeuten, dass alle Informationen über die Vorteile des Fleischessens und die Gefahren des Vegetarismus in der gesamten Öffentlichkeit zielgerichtet unterdrückt und zugunsten verfälschter Informationen über das Essen von Gemüse geheim gehalten wurden. Ein aberwitziger Gedanke.
    Doch dann fiel mir die Verkäuferin im Erotikladen ein. Hatte sie mich nicht auffallend routiniert behandelt und gesagt, dass täglich Vegetarier zu ihr in den Laden kämen? Und was war mit der komischen Arztpraxis ohne Arzt direkt darüber, die offensichtlich mit nichts anderem ihr Geld verdiente, als armen Menschen wie mir Rezepte für Maximalpornografie zu überreichen. Das hieß doch, dass es sichzumindest lohnte, eine Praxis aufzumachen, nur um diese Rezepte zu verteilen. Und der Arzt in der Rettungsstelle: Routiniert hatte er meinen Penis betrachtet, sofort die Ursache erraten, mit geübten Handgriffen die Wunde versorgt. Niemals zuvor hatte ich von einem so schrecklichen Vorfall gehört, doch für ihn schien das zum Alltag in der Rettungsstelle zu gehören.
    Ich hatte also zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass man als Vegetarier schreckliche Nebenwirkungen in Kauf nehmen musste, von denen aber in den Medien kein Wort zu hören ist. In dieser Nacht schlief ich unruhig. Im Traum hatte ich Visionen von einem überirdischen,
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