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Zaehme mich

Zaehme mich

Titel: Zaehme mich
Autoren: Emily Maguire
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    Zweieinhalb Jahre lang fühlte sich Sarah Clark wie eine Missgeburt. Es fing damit an, dass sie zu ihrem zwölften Geburtstag eine ledergebundene Ausgabe von Othello bekam, und endete damit, dass ihr Englischlehrer ihr zeigte, was genau man sich unter dem »Tier mit zwei Rücken« vorzustellen hatte.
    Dazwischen las sie jedes einzelne von Shakespeares Stücken und machte sich dann über seine Sonette her, bevor sie schließlich Marlowe, Donne, Pope und Marvell entdeckte. Angesichts von Mitschülern, die höchstens die TV-Week lasen, und Eltern, deren Interesse sich auf die Financial Times beschränkte, sah sich Sarah gezwungen, ihre literarischen Neigungen zu verbergen. Sie versteckte Gedichtsammlungen unter ihrem Bett und las Emma mit einer Taschenlampe, so wie Jungs ihres Alters den Playboy verschlangen. In den ersten zwei Jahren an der Highschool war sie Klassenbeste in Englisch, ohne je ein Schulbuch anzufassen. Das war auch völlig überflüssig, denn auf dem Lehrplan standen nur einige wenige bekannte Texte, ergänzt durch Comics und Zeitungsausschnitte.
    Dann, am ersten Tag des dritten Highschooljahrs, lernte Sarah Mr. Carr kennen. Er war anders als jeder Lehrer, dem sie bisher begegnet war. Die gesamten vierzig Minuten seiner ersten Unterrichtsstunde sprach er darüber, warum der Dichter Yeats auch für australische Teenager im Jahr 1995 von größter Bedeutung war. In der zweiten Stunde hob Sarah die Hand, um sich zu einer Bemerkung zu äußern, die er über Hamlet gemacht hatte. Als er sie aufrief, fing sie an zu reden und konnte nicht mehr aufhören. Bis nach der Mittagspause blieb sie in seinem Unterrichtsraum, und als sie unter den herablassenden Blicken der Schulhofcliquen wieder ins Sonnenlicht hinaustrat, war sie ein ganz neuer Mensch.
    Von da an setzte sich Mr. Carr aktiv dafür ein, Sarahs Liebe zur Literatur am Leben zu halten. Um keine Langeweile aufkommen zu lassen, brachte er ihr seine eigenen Bücher von zu Hause mit und erteilte ihr schriftlich die Erlaubnis, die älteren Schülern vorbehaltene Abteilung der Bibliothek aufzusuchen. Jeden Roman, jedes Stück, jedes Gedicht diskutierte er ausführlich mit ihr. Und es gab kein größeres Kompliment für sie als seine Gewissheit, dass sie ein bestimmtes Werk lieben würde, weil es auch zu seinen Favoriten zählte.
    Während Mr. Carr Sarahs Geist formte, veränderte sich davon unabhängig auch ihr Körper. Fast über Nacht traten kleine, kneifende Brüste in Erscheinung, dazu Haare an lächerlichen Stellen. Immer wieder wachte sie mitten in der Nacht auf und stellte fest, dass sie die Bettdecke abgestrampelt hatte und ihre Hände sich in der Pyjamahose verfangen hatten. Jedes Mal wenn der Schulsprecher, ein blonder Schlaks namens Alex, an ihr vorbeiging, verspürte Sarah den unerklärlichen Drang, die Beine zusammenzupressen. In Tagträumen beschäftigte sie sich jetzt öfter damit, wie sie schöner werden könnte.
    Eines Tages im Juni fragte Mr. Carr Sarah um Rat, wie er die Klasse für Shakespeare begeistern sollte. Bei den bis dahin besprochenen Sonetten hatte, außer bei Sarah, nicht der geringste Funken gezündet, und so hatte er sich gedacht, dass sie ihm vielleicht erklären konnte, was er falsch machte. Mr. Carr sah das Problem darin, dass sich viele der Sonetten um Themen drehten, die ein durchschnittlicher Jugendlicher mit vierzehn einfach nicht verstand. Sarah erklärte ihm, dass durchschnittliche Vierzehnjährige recht gut Bescheid wussten über Liebe, Lust und Verlangen; es war nur die Sprache, mit der sie nichts anfangen konnten. Schließlich, so Sarah, ging es bei jedem zweiten Song im Radio um die gleichen Dinge wie beim alten William, wenn auch mit mehr Geseufze und weniger Geist.
    Mit einem kehligen Lachen streckte er den Arm aus.
    Seine heiße, feuchte Hand ließ sich auf ihrem nackten Knie nieder. Wie Sarah plötzlich auffiel, glänzte seine Stirn vor Schweiß, die Jalousien waren heruntergelassen und die Tür geschlossen. Ihr Herz raste. Reglos und stumm saß sie da. Sie war froh, dass sie noch atmen konnte.
    Vorgebeugt in seinem Stuhl legte Mr. Carr Sarah die Hand auf die Schulter und ließ sie dann nach unten gleiten, bis sie auf einer ihrer noch nie berührten, brandneuen Brüste ruhte. Sie hatte das Gefühl, gleich losheulen zu müssen, aber sie spürte auch eine fast krankhafte Erregung. Ganz still saß sie da, die Arme an den Seiten, und sah zu, wie er durch das billige Polyester ihren Busen streichelte und massierte.
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